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Dreizehnte Woche
Die französische Pau-Studentin
(Eine Weihnachtsgeschichte gibt es nicht, denn Pau bietet dafür
nicht den richtigen Background. Darum gibt es für die Leute, die darauf
spekukliert haben, auch keine Weihnachtsgeschenke.)
Die französische Pau-Studentin heisst Aurelie und hat ein Ziel im Leben:
gegen alle Klischees, die über französische Frauen durch die Welt geistern,
anzurennen. Im Grunde fahren ja deutsche Studenten nur deshalb nach
Frankreich, weil sie gehört haben, die Französinnen seien ausgezeichnete
Liebhaberinnen, die gleichzeitig über gute Manieren, eine erotische Sprache,
ausreichend Bildung und Sinn für guten Geschmack verfügen. Nein, sagt sich
da die Aurelie, da versalz ich denen mal die Suppe. Aurelie hat nämlich
keinen Bock auf diese ganzen oberflächlichen Äusserlichkeiten. Immer soll
sie interessant sein, reif und auch noch hübsch. Sie macht da nicht
mit. Trotzig entscheidet sie sich einfach dafür, hässlich zu sein. Da hat
sie ja Glück gehabt, dass sie das ohnehin schon ist. Da braucht sie sich gar
nicht mehr doll anzustrengen für. Zusammen mit ihren rosa Schlabberpullis,
ihren Zahn- und Haarspangen gelingt es ihr mühelos, wie eine langweilige 12jährige
zu wirken. So kommen die meisten deutschen Erasmusstudenten gar nicht auf die
Idee, doch mal mit ihr zu reden.
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Manche Deutschen sind aber ein bisschen dumm, die
kriegen das nicht gleich mit und wollen sich trotzdem unterhalten. Glücklicherweise
hat Aurelie noch andere Tricks in der Hinterhand. Wenn das Aussehen nicht zum
Abschrecken reicht, muss dem halt die Persönlichkeit unter die Arme greifen.
Sie darf also keine interessanten Hobbys haben. Puh! Glück gehabt! Die hatte
sie ohnehin nicht, im Grunde hatte sie gar keine Hobbys, ausser ihr Auto. Mit
ihrem klapprigen R 5 fährt sie total gerne umher, zum Beispiel von ihrer
Fakultät rüber über die Strasse zu E.Leclerc. Das dauerte zwar länger, als
wenn man zu Fuss läuft, aber die 300 Meter will sie sich doch nicht zumuten.
Sie möchte keine unnötig Energie verbrauchen. Sonst fehlt die ihr womöglich
später zu Hause, und sie bringt nicht mehr die Kraft auf, die Fernbedienung
vom Fernseher zur Couch rüberzutragen und von TF1 auf Canal + umzustellen.
Kommt ein nerviger Deutscher Student doch mal mit zu ihr nach Hause, dann wird
einfach erstmal die Glotze angestellt. Da braucht man sich nicht unterhalten.
Unterhalten ist nämlich immer so anstrengend. Darum hat sie sich vor Jahren
dagegen entschieden. Mit ihren Freundinnen Laure und Marielle aus ihrer
Uniklasse schweigt sie auch. Das heisst, Laure, die spricht leider ganz schön
oft. Die nervt überhaupt total. Die mag sie eigentlich gar nicht. Aber sie
treffen sich ja nun schon seit über einem Jahr jeden Tag miteinander, da wäre
es jetzt auch doof, diese Institution wieder abzuschaffen. Ausserdem ist Laure
selber schuld, wenn sie nicht merkt, dass sie Aurelie total auf den Kecks
geht. Da hat Laure halt Pech gehabt. Und immerhin ist Laure ein probates
Mittel, um sich nervende Deutschen vom Leib zu halten. Na ja, die sind auch
alle gleich, na gut, eigentlich auch nicht, aber jedenfalls anders als die
Franzosen. Die wollen Sex, aber vorher reden. Das hat sie ja noch gar nicht
erlebt. Was ist denn das für eine Kultur?
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Gut, sie sind weniger nervend als Laure, aber dafür
doch ganz schön arrogant. Obwohl der eine von den beiden, der Florian, sie ja
ein bisschen gut zu finden scheint. Aber dann verbessert der doch glatt die
Laure, wenn die Französisch spricht: « On ne dit pas cenque, mais cinq.
» Huh, ein bisschen musste sie sich da ja schon ins Fäustchen lachen,
schliesslich war der Akzent von Laure doch ganz schön krass und ausserdem
nervt die ja wie gesagt, weil die zum Beispiel immer nur damit prahlt, wie oft
die Sex hat, ohne dass man sie danach gefragt hat. Dabei hat die bestimmt gar
keinen Sex, die war nämlich hässlich, gut, nicht ganz so hässlich, wie
Marielle, aber trotzdem ziemlich. Aber der Florian war insgesamt auch ganz schön
mäklig. Als sie zu ihrem Geburtstag bei McDonalds essen waren, da hat
der so komisch das Gesicht verzogen und im Beisein ihrer Mutter hat er sich
darüber lustig gemacht, dass sie für jeden kleinen Weg das Auto nimmt. Da
hat sich ihre Mutter gefreut, weil sie nämlich auch findet, sie nehme für
jeden kleinen Weg das Auto. Aber was heisst das schon, kleiner Weg? Klein ist
relativ, Weg auch.
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Aber noch schlimmer ist ja der andere Deutsche, der muss
immer nur rumkritisieren. Der hat schon gleich zu Beginn so verächtlich die
Nase gerümpft, weil sie bei sich zu Hause keine Bücher hat. Aber wozu braucht
sie die, schliesslich hat sie genug damit zu tun, die Kreuzworträtsel aus den
Frauenzeitschriften, die sie sich jedes Woche von ihrer Mutter mitnimmt, zu lösen.
Apropos Mutter, wozu braucht sie Bücher, wenn ihre Mutter welche hat? Sollte
sie mal eins brauchen, kann sie sich auch eins bei ihr borgen. Und dann
hat Stephan ihr auch Vorwürfe hinsichtlich ihres Musikgeschmack gemacht: «Tu
m'as dit, que tu aimes Jamiroquai et U2. Mais tu n'en as aucun disque.»
«Oui, chez ma mère.» Er meinte dann, die Tatsache, dass sie im Auto
bei Zazis Rue de la Pais und alle anderen Scheisslieder immer mitsang,
spreche aber nicht für sie. Aber von den Scheissliedern konnte sie nun mal
die Texte. Schliesslich fuhr sie auch deswegen Auto, um die zu lernen.
Ausserdem singt sie nicht nur Scheisslieder mit, sondern auch Manu Chao: Perdido
en el Corazon/ De la grande Babylon/ Me dicen el Clandestino/ Yo soy el
Quiebra Ley/ Mano Negra Clandestina/ Peruano Clandestino/ Africano
Clandestino/ Marijuana Ilegal. Ja, Manu Chao sei keine eigene Leistung, da
den hier ohnehin jeder gut fände. Das stimmte nicht, hat sie geantwortet.
Pierre findet den nicht gut.
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Und dann hat sich Stephan auch noch über La Noche mokiert.
Die schlimmste Disko seines Lebens sei das gewesen. Wenn man das nicht gut
findet, dann muss man das nicht sagen. Der will auch nie in das grosse
Megakino neben E.Leclerc, dabei gibts da Dolby-Surround. Der ist wahrlich kein
einfacher Zeitgenossen mit seiner Prinzipienreiterei. Angeblich soll sich
Stephan auch darüber lustig machen, dass sie sich als links sieht. Zum links
sein gehöre auch politisches Interesse und eine gewisse Lebensführung. Sie
sieht das anders: Links ist, wer links wählt. So hat das schon ihre Mutter
gehalten. Na ja, seitdem Stephan einen Vortrag über die
Globalisierungskritiker gehalten hat, will er nichts mehr mit ihr zu tun
haben. Und bloss weil sie sich währenddessen mit Marielle, die neben ihr
sass, SMS geschrieben hat. Hätte sie vielleicht mit ihr reden sollen? Das hätte
viel eher gestört.
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Florian macht sich auch zusehends rar. Das muss der
schlechte Einfluss von Stephan sein. Er hat sie sogar schon mal wegen ihrer
Unehrlichkeit gegenüber Laure kritisiert, dass sie ihr nie die Meinung sagt.
Das fand sie doof, schliesslich hatte sie sich nicht mit ihm getroffen, um
sich vollmotzen zu lassen. Na ja, so waren die Deutschen halt. Letztes Mal war
er sogar gegangen, nachdem sie und Marielle in seiner Gegenwart ihre Handys
rausgeholt hatten, um sich darüber miteinander zu unterhalten. Was konnten
sie dafür, dass er kein Handy hatte. Sie hatte ihm ja sogar angeboten, auf
ihr Display mit raufzugucken und selbst mal was vorzuschlagen. Aber das wollte
er nicht. Vielleicht würde sie ihn doch nicht fragen, ob er mal mit ihr nach
Polen fahren würde. Diese Frage hatte sie sich eigentlich vorgenommen. Polen
ist nämlich ihr grosser Traum. Mal nach Polen fahren, da wo ihre Vorfahren
gelebt haben, dass wäre schon was tolles. Nur leider liegt das so weit weg.
Im Ausland sogar.
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