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Vierzehnte Woche: Der französische Pau-Student

Der französische Pau Student kommt selten aus Pau. Und damit fängt auch schon sein Problem an. Wo selbst Pau zum Eindruckschinden kaum reicht, was soll er da erst mit Oloron oder Tarbes reissen. Wäre er doch wenigstens aus Toulouse oder Nantes, dann hätte er was zu berichten. Das lässt ihn total verdriessen. Was soll er eigentlich mit seinem Leben noch anfangen, ausser saufen, kiffen und Je m'en fous sagen : saufen, kiffen und Je m'en fous sagen, fällt ihm da nur ein und er erklärt das prompt zu seiner Lebensmaxime. Ein bisschen Pepp bringen nur die wochenendlichen Besuche bei Mama und Papa in Orloron und Tarbes. Da wird dann mal wieder richtig nicht gesprochen und vor allem die Wäsche gereinigt. Nur doof, dass er da immer nicht zum Saufen und Kiffen kommt, allenfalls noch zum Je m'en fous sagen, aber davon allein wird auch niemand glücklich. Ausserdem muss er dann immer mit Papa auf die Jagd, Vögel schiessen. Da sagt er zwar auch immer, Je m'en fous. Mit muss er trotzdem.

 

Inniglich hofft er, dass die scheiss Sozialisten an der Macht endlich die Jagd vebieten. Dann könnte er am Wochenende endlich mal ausschlafen. Nicht schon um fünf raus, mit Gummistiefeln durchs hohe Gras. Ja, viel verlangt er ja gar nicht vom Leben, einfach nur Wochenenden ohne Vögel, das würde reichen, um ein wenig zufriedener zu sein. Allerdings sind die Sozialisten dafür wohl auch wieder zu feige, bloss weil sein Papa dann Depressionen bekäme und doch wieder Le Pen wählte.
Zum Glück ist er nicht jedes Wochenende bei den Alten. Wenn er die Unterwäsche etwas länger trägt, dann braucht er sie nur alle drei bis vier Wochen zu waschen. Die restlichen Wochenenden bleiben dann wirklich für die angenehmen Seiten des Lebens : Saufen, kiffen und Je m'en fous sagen. Da reicht ihm sein Studium wirklich kongenial die Hand. Montag und Freitag frei, da bleiben vier Tage für die Hobbys. Welch anderer Student kann das schon von sich behaupten.

 

Nur manchmal haut's natürlich nicht ganz so hin mit der Koordination, wenn zum Beispiel der Eric an einem anderen Wochenende wegen der Wäsche zu seinen Eltern muss. Da bedarf es dann ganz schöner Überzeugungsarbeit: « Tu es fou ou quoi? Portes donc tes caleçons encore une semaine. Je te promets de le faire aussi et de ne le dire à personne. » Dann wird gesoffen. Und so viele joints machen die Runde, dass die dabei sitzenden Deutschen nur staunend mit den Augen Rollen können. Manche gehen auch weg, weil sie sowas nicht gewohnt sind und sie sich nicht umhauen lassen wollen von dem Rauch. Wer einmal raus ist, kommt natürlich nicht mehr rein, weil er es nicht schafft, von draussen in die Qualmwand einzudringen.
Irgendwann ist es Mitternacht und da sitzt der französische Pau-Student nur noch apathisch und in sich versunken mit kleinen Pupillen da. Selbstverständlich heisst das nicht, dass er sich nicht so seinen Kopf macht. Man kann sich auch noch nach zehn Joints binnen zwei Stunden einen Kopf machen, nämlich so : « Les pupilles, elles fondent aussi chez les Allemands quand ils ont fumé. » Leider kann er diese Frage gar nicht mehr zur Antwort freigeben, denn reden ist jetzt doch ein bisschen anstrengend. Ausserdem ist ja auch kein Deutscher mehr da, die sind ja alle weg.

 

Deutsche sind eigentlich ganz o.k., besonders die Mädchen. Die waren aber nicht da. Nur der Stephan und der Florian. Dabei wären ihm Sandra, Anne und Corinna viel lieber. Die sind nämlich noch besser als Rammstein, der einzigen guten Band aus Deutschland. Sonst klingt es ja immer so komisch, wenn Deutsche singen, die Sprache eignet sich eigentlich überhaupt nicht dafür. Das denkt Stephan von französischer Musik auch, aber der hat nicht recht. Bei Rammstein weiss man wenigstens, woran man ist: die rollen das R wie richtige Krieger. Ob in Deutschland alle so durchtrainiert aggressiv sind und permanent mit freien schwitzenden Oberkörper und Kettensägen rumrennen. Hundertprozentig sicher ist er sich zwar nicht, aber ausschliessen würde er es auch nicht. Den Deutschen ist ja alles zuzutrauen. Trotzdem wären ihm Sandra, Anne und Corinna lieber gewesen, selbst als Rammstein. Die haben schöne lange oder kurze blonde Haare.

 

Stephan hat mal zu ihm gemeint : » Elles sont laides. Elles ne sont pas de bonnes représentantes d'Allemange. Chez nous il y en a des filles  beaucoup plus belles. » Er hatte da nur geantwortet : « Incroyable ! » Und das ist es wirklich, unglaublich. Sollte das wirklich der Fall sein, dann müsste er doch mal über den Rhein. Allerdings bleibt er sehr skeptisch. Vielleicht lügt der Stephan auch, schliesslich tut er auch so, als gefielen ihm Sandra, Anne und Corinna nicht, dabei haben die doch alles, was eine richtige Frau haben muss : sie sind blond, älter und alle anderen Franzosen aus der Klasse find sie auch gut, vor allem die Sandra. Es macht da auch nichts, dass die aus Bayern kommt und, wie Stephan bekundet, deshalb gar kein Deutsch spricht. Das schöne an dem LEA-Studium ist, dass man jedes Jahr die deutschen Erasmusstudentinnen in der Klasse hat, weil die Kurse so schön einfach sind. Und die sind ja immer älter als die Franzosen. Er hat das ja auch deshalb gewählt und wegen den deutschen Erasmusstudentinnen. LEA war der einzige Studiengang weltweit, bei dem man es bis zum Doktor bringen konnte, ohne ein Buch gelesen, ohne einmal die Unibibliothek besucht und ohne einmal im Studium was gesagt zu haben.

 

Jetzt fängt wieder das Denken an, stimmt ja, er ist ja immer noch bekifft : « Pourqoui Sandra, Antje et Corinna, ne sont-elles pas venues ? C'est parce-que je ne les ai pas invitées?» Oder es liegt an seinem Namen : Pierre ! Warum muss er auch Pierre heissen. So heissen immer die französischen Jugendlichen in den deutschen Französischlehrbüchern der siebten Klasse. Der Name Pierre ist die grosse eiternde Wunde im Leben des französischen Pau-Studenten. Gleich welchem deutschen Altersgenossen er das erste Mal begegnet, ständig muss er sich dieselbe Frage gefallen lassen : «Toi, tu n'est pas par hasard ce Pierre, dont on parle dans les manuels scolaire pour le français an Allemagne?» « Non, je suis désolé. Celui-là habitait à Poitiers» «Tu es sûr? Tu n'y as jamais été? » « Non ! » Das lässt ihn zusehends frustrieren. Er konnte weder von seinem Namen weglaufen, noch seine Eltern verklagen. « C'est peut-être mon nom qui a empêché Sandra, Antje et Corinna de venir. » Das klingt logisch. Bei der nächsten Gelegenheit will er sie dann doch lieber mal fragen. Das ist besser, als sich den Kopf zu zerbrechen. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann würde er sie einfach darauf aufmerksam machen, dass er ja mit zweitem Namen Richard heisse. Da könnten sie sich nicht mehr rausreden. Sie müssten dann die Karten, wie sie zu ihm standen, aufdecken.

 

Die nächste Gelegenheit lässt nicht lange auf sich warten, verläuft aber nicht wie geplant. Irgendeine andere Deutsche gibt eine Party. Da geht er einfach hin. Mit Enttäuschung muss der französische Pau-Student zur Kenntnis nehmen, dass Sandra gar nicht eingeladen ist. Mist, gerade Sandra nicht, die doch der hübschen Schauspielerin Romy Schneider ähneln soll. Er kennt die zwar nicht, die muss aber sehr hübsch sein, sonst wäre sie ja auch keine Schauspielerin geworden. Corinna ist auch nicht da, nur Antje. Na gut, dann frag ich halt nur sie : « Salut. Tu peus accepter mon nom ? Ou est-ce que tu le détestes ?  Je m'appelle aussi Richard.» Antje versteht aber noch nicht so gut Französisch, wie dem französischen Pau-Studenten schnell klar wird. Dann eben die ganze Litanei nochmal auf Deutsch. « ehhh .. güten Tag ..ehhh . » Er spricht aber noch nicht so gut Deutsch, wie ihm schnell klar wird. Wie auch, wo er Deutsch doch nur fünf Jahre in der Schule hatte. Und schliesslich dient sein Studium LEA Anglais/Allemand auch dem Zweck, auch die letzten Deutschrudimente noch zu verlernen. Es begann sich also langsam auszuzahlen. Nur so kommt er natürlich auch nicht weiter. Das ist Pierre schon klar. Da muss er wohl doch noch ein paar Monate weitertrinken und weiterkiffen, bis Antje gut genug Französisch kann, um eine Antwort zu bekommen. « Mais bon, je m'en fous.»