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Fünfzehnte Woche

Am Freitag habe ich im Le Méliès, Paus Independent-Kino, Crazy angeschaut. Im Ausland geht man ja bekanntlich mit Vorliebe in Filme aus seinem Land, auch wenn man die damals, als man die das erste Mal gesehen hat, eigentlich total überflüssig fand. Im Le Méliès werden Streifen überdies noch in der Orginalfassung gezeigt. Da kommt man sich immer viel klüger vor als das restliche Publikum, das erst noch den Untertitel interpretieren muss, bevor es die Dialoge zu verstehen versucht. Ich hatte längst über die Witze gelacht, während die anderen noch an ihnen gelesen haben. Nach einer Weile haben die Leute den Untertitel ignoriert und nur noch darauf geachtet, wann ich lache, um dann sofort einzusteigen. Einige besassen eine erstaunliche Reaktionsgeschwindigkeit. Die fingen schon vor mir mit Lachen an. 

 

Im Le Méliès bin ich mittlerweile ein gerngesehener Gast, besonders seitdem ich in Euro bezahlen und nicht mehr mit der Butterwährung Franc komme. Unermüdlich versuche ich ferner, meine französischen Freunde dazu zu bekehren, statt ins CGR neben E. Leclerc zu gehen, wo die ganzen amerikanischen Blockbuster gebracht werden, sich doch lieber mit mir dort Filme aus der Reihe week-end cinéma russe anzusehen oder etwas aus dem festival de cinéma gay et lesbien. Meinen männlichen Freunden unterbreite ich sogar das Angebot, Werke auszuwählen, in denen ausschliesslich Sujets zwischen homosexuellen Frauen thematisiert werden.

 

Doch zwei Parameter machen mir meistens einen Strich durch die Rechnung. Zum befindet sich das Le Méliès in der Rue Bargoin, also in der Innenstadt und damit doch ungefähr anderthalb Kilometer von der Uni entfernt, wohingegen es bis zum CGR nur 300 Meter sind. Bis zum CGR verbrauchen die Franzosen also grob gerechnet nur ein Fünftel des Sprits. Ferner habe ich gar keine französischen Freunde in Pau. So werde ich in der Regel ins Méliès immer von derselben Person begleitet, von mir. Dass es daran liegt, dass sich das Le Méliès in den Mauern einer ehemaligen Kirche befindet, glaube ich kaum. Mir hat das Ambiente dort nicht geschadet, im Gegenteil, nach 17 Besuchen schliesse ich die Existenz Gottes nicht mehr aus. Wohl eher schreckt die Franzosen neben den ihnen nicht bekannten Filmen die Tatsache ab, dass in dem Kino regelmässig irgendwelche kleineren Ausstellungen auf die Besucher warten, die sie dann nicht einfach ignorieren können, ohne sich ein schlechtes Gewissen einzufangen.

 

Bei Frankreich ist das Attribut Kulturnation nur noch eine Hülle. Der Durchschnittsfranzose, der übrigens in Pau sehr gegenwärtig ist, weiss mit dem Begriff Kultur noch weniger anzufangen als die Bewohner Annaberg Buchholz' mit dem Verb lobotomisieren. Ich hingegen habe mir die drei Photos der Photoausstellung photographie éthiopienne contemporaine ganz genau angeschaut und mich sogar bemüht, sie zu deuten und in den Kontext der äthiopischen Photographieentwicklung einzuordnen, was mir aber misslang, da ich mich mit der äthiopischen Photographieszene nicht so auskenne. Darum hatte ich dann auch Schwierigkeiten, meine Impressionen in das am Ausgang liegende Vokabelheft zu schreiben, welches als Besucherbuch fungierte. In den bisher zwei Einträgen hiess es: «Cette exposition montre d’une façon nouvelle, voire révolutionnaire, le désir de tout un peuple, de s’exprimer, de parler et de faire avancer l’art du continent africain.» «Tout bouge, tout touche. Cela m’a donné beaucoup à réfléchir. Je suis émue.» Was hätte ich da noch ergänzen können. «Oui, les deux personnes ont raison.» oder wohl eher «Je ne sais pas.» Am liebsten hätte ich ja geschrieben: «Von den drei Photos kann sich die europäische Kunstszene mal eine Scheibe abschneiden.» Aber das konnte ich nicht auf Französisch sagen, weshalb ich nichts hinzufügte.

 

Alles in allem fühle ich mich im Le Méliès wohl, auch wegen der plüschigen blauen Sitze. Zunächst war ich erst ein wenig irritiert, weil die so gebaut sind, dass man die eigenen Knie in Kopfhöhe hat, oder besser den eigenen Kopf in Kniehöhe. Ich befürchtete nichts mehr zu sehen wegen der Reihen vor mir. Aber zum Glück sind die Franzosen auch im Verhältnis zu meinen 1.68 m noch ein sehr kleinwüchsiges Volk und mein Blick konnte sich bisher immer ungehindert durchsetzen. Der einzige Wermutstropfen sind vielleicht die Toiletten, bei denen nicht wie in Deutschland über dem Waschbecken ein Spiegel angebracht ist. So kann ich nie überprüfen, ob ich mir meinen Hosenstall zugemacht habe und ob ich gut aussehe. Allerdings soll das nach Meinung renomierter Kinokritiker während der Vorführungen eh nicht so wichtig sein.

 

Crazy letzten Freitag war für mich in zweierlei Hinsicht bedeutend. Zum einen hatte ich eine weibliche Begleitung: Marine. Marine hatte zwar nicht im entferntesten etwas mit den Frauen zu tun, die bei mir unter der Rubrik «akzeptabel für Akte, die über Reden hinausgehen» geführt, aber ich hatte halt seit meiner Ankunft in Pau meine Ansprüche zunehmend zurückgeschraubt. Mittlerweile nahm ich alles, was ich kriegen konnte. Der Hauptact war ohnehin Robert Stadlober, der im Programm als Gast angkündigt wurde : Crazy, vendredi à 21 h, suivi d’une rencontre avec l’acteur Robert Stadlober. Robert Stadlober war ja die deutsche Antwort auf Jean Gabin, Jean Paul Belmondo, Gérard Dépardieu und Sophie Marceau. Die Buchstabenfolge Stadlober bewies den Franzosen, dass es entgegen allen anderslautenden Munkelns auch in Deutschland schöne Nachnamen gibt, die den Vergleich mit Beaumarchais und Montaine nicht zu scheuen brauchen. "Tu sais", machte ich Marine aufmerksam, "je connais ce Robert Stadlober. Nous sommes de la même ville, Berlin." « Ah, oui. »

 

Ihre Antwort verriet keine Wertung. Na ich würde sie schon noch beeindrucken und neidisch sässe sie dann tief versunken neben mir in ihrem Sessel, während ich mit Robert auf Deutsch fachsimpelte. Und kein Franzose würde was verstehen. Ich würde danach dann absichtlich falsch übersetzen. Ich stellte mir die geplante Diskussion sowieso ziemlich zwanghaft und gekünstelt vor : « Dis-nous Robert. Comment c’était de jouer un gars qui est handicapé ?" « Ähh….. très difficil    mais aussi très bien. » « Tu les comprends mieux maintenat, les handicapés? » « Oui. »  « Et alors ? » « J’ai des amis maintenant qui sont blessé. C’est presque la même chose. »  « Ähhh… ça te plais ici à Pau ? » « Oui. C’est le plus beau village d’Allemagne.… comment ? Pardon ! C’est la plus belle ville de France. Déjà quand j’étais petit je rêvais de venir un jour ici. C’est pourquoi j’étais très content quand le mur est tombé. Les Français sont très gentils. Tous. Et Pau est une vraie ville de cinéma.» « Merci ! » Spätestens hier wäre die Diskussion wohl versandet. Ich dagegen hätte weitaus bessere Fragen gehabt: Was ihn gerade in ein Kaff wie Pau verschlage ? Ob das damit zusammenhänge, dass er gerade im TIP unter die hundert peinlichsten Berliner des Jahres gewählt worden sei. Und warum eigentlich alle, die mal eine Statistenrolle im Fernsehen hatten, meinen, sie müssten deshalb auch gleich noch schreckliche Musik machen ?

 

Ich kam leider nicht dazu, mich danach zu erkundigen, da kurz vor Vorstellungsbeginn die Kinobetreiber bekanntgaben, dass Robert aus wichtigen Gründen nicht erscheinen könne. Stattdessen wurde ein von seinem Agenten verfasster Brief vorgelesen : « Chers spectateurs du Méliès, je suis tres enchanté, qu’on va montrer mon film à Pau, un film où j’avais mon premier grand rôle. C’était un rôle difficile mais intéressant et j’ai beaucoup appris sur les handicapés. Je me sent très proche d’eux maintenant. J’espère d’avoir la possibilité de visiter Pau bientôt, car c’est une ville qui est très belle. Depuis des années j’ai déjà l’intention d’y aller.  Et en plus, je sais que vous êtes très gentils. Veuillez croire Mesdames et Messieurs, à l’assurance de mes sentiments distingués.« 

 

Da hatte Robert meinen Gesprächsambitionen einfach den Saft abgdreht. Na ja, sagte ich mir. So richtig Lust , mit ihm zu quatschen, hatte ich eh nicht. Ich informierte die anderen Kinobesucher noch über die Platzierung Roberts bei den peinlichsten hundert Berlinern, weshalb die dann auch ganz froh waren, dass er nicht gekommen ist. Sie haben dann im Anschluss an den Film auch ganz gut ohne ihn über ihn diskutiert. Das habe ich mir aber nicht mehr mit angehört.