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Sechzehnte Woche
Die Zuneigung der Franzosen erkämpft
man sich nicht so mir nichts dir nichts. Wenn man es genau nimmt, kann man sie
sich eigentlich gar nicht erkämpfen. Man muss sich mit dem abfinden, was die
Franzosen einem freiwillig andrehen wollen. Da finden sich die anfänglichen
Ambitionen eines deutschen Erasmusstudenten schnell in einer Sackgasse wieder.
Ich zum Beispiel hatte eine französische Freundin fest eingeplant. Ich hatte
auch extra vorher noch mit meiner Freundin Schluss gemacht, damit ich kein
schlechtes Gewissen zu haben brauchte. Das war gar nicht so leicht.
Schliesslich brauchte ich fürs Schlussmachen einen Grund. Um sicher zu gehen,
griff ich auf Trick 17 zurück und behauptete, ich liebe sie nicht mehr,
sondern eine andere. Zum ersten Mal im Leben musste ich lügen. Ich nahm mir
aber vor, dass das auch meine letzte Lüge gewesen sein sollte. Hier komme ich
allerdings mit meiner Ehrlichkeit nicht weit. Alle Französinnen, die ich
attraktiv finde, kläre ich bei unserem ersten Gespräch über meine Anliegen
auf: «Je ne veux pas tomber amoureux ici en Pau. J’ai seulement besoin
d’une petite copine afin d’apprendre mieux la langue. Et pour faire du
sexe. En juillet ça sera fini pour moi de toute façon. Je n’ai pas envie
de mener une relation à distance. En plus, il n’y a pas de Françaises qui
sont aussi bien que mon Ex. Mais peut-être, je vais lui laisser croire
que je l’aime vraiment. Ca va m’assurer pour toujours une chambre a Pau.»
Zu weiteren Gesprächen kommt es äusserst selten.
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Ich werde bis heute
nicht aus den Französinnen schlau. Hat sie meine Ehrlichkeit verschreckt?
Dabei gestehe ich ihnen im Gegenzug das Recht zu, sich ebenfalls nicht in mich
verlieben zu müssen. Dann müssen sie auch keine Angst haben, dass ich sie
noch Jahre nerve. Und ich verzichte sogar schon darauf, darauf hinzuweisen,
dass ich aus Imagegründen natürlich lieber eine spanische Erasmusstudentin hätte,
weil Spanierinnen in Deutschland mehr Prestigepunkte bringen, und ich ihnen
nur wegen ihrem schrecklichen Akzent nicht hinterherrenne. Ich habe jedenfalls
immer noch keinen Sex hier gehabt, ausser mit mir selbst. Und wieso in den
Französischpassagen meines Erasmustagebuchs immer so viele Fehler sind, ist
jetzt wohl auch klar. Warum ich auch in den deutschen Passagen so viele Fehler
mache, erklärt sich dadurch, dass ich auch keine deutsche Freundin habe.
[...und weil ich nicht alle korrigiere (der Setzer). Zur Veranschaulichung
dieser Tatsache, heute einmal die historisch kritische Originalversion in
eckigen Klammern]
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Zu Beginn des
Aufenhalts hatte ich mir noch felsenfest vorgenommen, keinen ersten Schritt zu
unternehmen, bis die hübschen Französinnen nicht von sich aus auf mich
zukommen, um mir zugestehen, dass sie schon immer mit mir gehen wollten.
Mittlerweile nehme ich mir felsenfest vor, keinen ersten Schritt zu
unternehmen, weil nicht mal die hässlichen Französinnen von sich aus auf
mich zukommen, da sie offensichtlich noch nie mit mir gehen wollten.
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Florian, dem anderen
Potsdamer, geht’s auch nicht viel besser. Dabei hatte seine Freundin extra
noch mit ihm Schluss gemacht, damit er kein schlechtes Gewissen haben muss,
wenn er was mit einer Französin anfängt. Auch wenn ihn vielleicht ähnlich
Motive bei seiner Freundinsuche treiben wie mich, so verkniff er es sich aber
immerhin, diese den hübscheren der Französinnen gleich auf die Nase zu
binden. Seit einer Weile verkneift er es sich sogar, diese den nicht so hübschen
mitzuteilen. Aber die anstrengende Geheimniskrämerei zahlt sich trotzdem
nicht aus. Der Unterschied zu mir besteht aber seit letzter Woche darin, dass
er bei den Jungen anzukommen scheint. Zumindest bei einem, bei dem Moslem
Sadim aus Tunesien. Florian ahnte noch nichts vom heraufziehenden Gewitter,
als er am vergangenen Mittwoch nach La
vie est belle mit mir vor dem accueil
des Wohnheims stand, um die Fernbedienung vom Wohnheimsfernseher wieder gegen
seinen Zellenschlüssel zurückzutauschen. Wir gerieten da so ins Gespräch
mit einem Studenten aus Djibouti und dem besagten Sadim, der abgesehen von
seiner Figur sehr feminin ist, worauf wir aber beide vergangenen Mittwoch
nicht so geachtet haben, auch Florian nicht, sonst hätte er wohl was
gewittert, als Sadim sich schon nach drei Sätzen nach seiner Zimmernummer
erkundigte. Florian hätte dann sicherlich nicht geantwortet: «J’habite
bâtiment A, chambre numero 9.», sondern: «Non, je n’habite pas
ici. Je suis en vacance pour rendre visiste à [urspr. a, le Setzer] Stephan.
Mon copain. Je vais rentrer demain matin en Allemagne.»
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Florian ist sich
danach jedenfalls Hinlegen gegangen. Kurz vor Mitternacht tappte es gegen
seine Tür. Mich vermutend, macht er auf. Ich bin es aber nicht, sondern
Sadim. Den Umstand, dass Florian nur mit Schlafanzug bekleidet ist und der
oberste Knopf offen steht, versteht er eindeutig als Aufforderung zu bleiben.
Es kommt in dieser Nacht noch nicht zum Sex. Dafür braucht Florian bis um
vier Uhr morgens, um ihn zum Gehen zu überlisten und das gelingt ihm auch
nur, weil er als Gegenleistung Sadims Handynummer annimmt und
verspricht, ihn am nächsten Tag anzurufen. Er ruft natürlich nicht
an. Zwar hat er noch keinen Beweis für das Schwulsein Sadims, allerdings
wirkt dessen Wunsch, sich mit Florian treffen zu wollen, um Deutsch zu lernen,
doch mehr als vorgeschoben, auch wenn ja die Araber bekanntlich der Deutschen
letzte Freunde sind. Aber Sadim braucht [urspr. "brauch", der Setzer]
keine Anrufe, um unaufgefordert bei Florian vorbeizuschauen.
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Die folgenden Tage
werden denn ein grosses Versteckspiel. Zunächst mal vereinbare ich mit
Florian ein Klopfzeichen, damit er genau weiss, wann ich vor der der Tür
stehe. Ich soll drei Mal kräftig wie ein Mann an die Tür treten. Das ist
dann von Sadims getapptem Fingerkrabbeln deutlich zu unterscheiden. Ausserdem
soll ich, da ich in meinem Zimmer Nummer fünf vor ihm mitkriege, wann die
Gefahr droht, ihn durch lautes Husten warnen. Unser Wohnheim ist nämlich so
hellhörig, dass man sich durchaus per Husten über mehrere Etagen zumorsen
[urspr. "zumörsen", der Setzer] kann. Huste ich, schliesst Florian
sofort bei sich ab, macht das Radio aus, lässt das Rollo runter und löscht
das Licht. Doch Sadim ist, obwohl eigentlich Student in Toulouse, sehr oft in
unserem Wohnheim, häufiger als ich selbst, weshalb es einmal vorgekommen ist,
dass ich Florian nicht warnen konnte. Da war die Dramaturgie etwas auf den
Kopf gestellt. Zunächst tappte Sadim gegen die Tür, Florian entfuhr darauf
ein Schreckschrei, er fing sich, liess das Rollo runter, löschte das Licht,
suchte im Dunkeln verzweifelt nach dem Radioschalter, riss dabei die
Schreibtischlampe runter, stiess sich kurz darauf den Kopf, rief auf Deutsch Mist!. Da er nach drei Minuten den Radioschalter immer noch nicht
gefunden hatte, fing er an, ganz laut zu schnarchen, damit Sadim annahm, er
schliefe gerade, ehe ihm einfiel, dass er die Tür noch nicht abgschlossen
hatte. Irgendwie gelang ihm das dann noch. Allerdings war Sadim mittlerweile
in seinem Zimmer.
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Seit diesem Mal kann
Florian auch nicht mehr so tun, als sei er nicht da. Sadim ist durch diesen
Vorfall sehr misstrauisch geworden. Es gibt kein Wegrennen mehr. Dass Sadim
aus homoerotischen Motiven getrieben wird, war Florian spätestens in dem
Moment endgültig klar, als er von dessen Traum erfuhr, in dem sie beide die
Hauptrolle spielten: Florian steht unter der Dusche, der Duschvorhang ist
offen, Sadim kommt hinzu und Florian kriegt einen Schreck. Zwar hat Sadim das
nicht sexuell gedeutet, sondern religiös, aber der sexuelle Trieb geht ja,
wenn es seinen Zwecken dient, gerne mal einen Bund mit der Religion ein. Sadim
ist jedoch nicht nur schwul und Moslem sondern zugleich sehr tolerant, weshalb
es Florian auch nichts brachte, sich als Zionist auszugeben. Selbst das Photo
seiner Ex, welches er sich auf Posterformat vergrössern liess und an die Wand
hing, verpuffte wirkungslos. Sadim verwies nur auf seine Frau in Tunesien, die
er ebenfalls nicht leiden konnte, und entfernte das Plakat in dem Moment, in
dem Florian mal gerade auf Toilette war.
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Mittlerweile hat
Florian ein bisschen resigniert. Zum Liebemachen hat er sich noch nicht überreden
lassen. Aber wenn ihn Sadim zum Cafétrinken einlädt, wehrt er sich nicht
mehr. Sadim hat ihn auch schon überreden können, alle Andenken an seine Ex
zu verbrennen. Und manchmal sieht man sie auch händchenhaltend durch Pau
schlendern, glaube ich, wenn mich meine Informanten nicht belügen. Das kommt
natürlich schon mal vor. Aber dass Florian ernsthaft mit dem Gedanken spielt,
den moslemischen Glauben anzunehmen, soll stimmen.
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Was mich betrifft,
ich gönne es ihm natürlich, nicht mehr Single zu sein. Allerdings, ein
bisschen eifersüchtig bin ich schon. Wer ist schon gern allein, auch wenn
Sadim meiner Meinung nicht der Mann ist, für den es sich lohnt, schwul zu
werden.
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