Zurück zu Stephan
Neunzehnte Woche
Mir
hier in Pau noch einen grossen Freundeskreis zu erarbeiten, brauche ich mir
gar nicht erst anzuschminken. Mittlerweile wissen nicht nur die Deutschen
(Deutschinnen) was für einer ich bin, sondern auch die Franzosen. Und das ist
wohl auch gut so, zumindest das Zitat. Mit dem gewinnt man immerhin Wahlen.
Selbst die französische ETA schickt mir anonyme Emails, in denen sie die Rückgängigmachung
meiner Taten fordert und von mir ein grösseres Unrechtsbewusstsein. Da ist
natürlich was dran. Ich hab mal kurz aufgerechnet: mit Lob für Land und
Leute bin ich tatsächlich viel zu sparsam umgegangen. Stattdessen hab ich nur
gezetert, gelästert und alles schlecht gemacht, was mich umgibt. Das wäre
alles nicht so schlimm gewesen, würde ich nicht manchmal sogar falsche
Unwahrheiten verbreiten. Meine Attitude ist um so verwerflicher, da die
betreffenden Personen das auch noch lesen mussten. Davor hätte ich sie
wenigstens warnen sollen. Hinzu kommt meine anmassende Selbstbeschreibung als
perfekt. Ich musste auch erst mal bei Kristian Kracht nachschauen, um daran
erinnert zu werden, dass Perfektion relativ ist.
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Einen
perfekten Menschen gibt es also gar nicht, allenfalls einen perfekten
Charakter. Ich darf also bestenfalls von mir behaupten, einen perfekten
Charakter zu haben, was jedoch durch einige Ereignisse in letzter Zeit auch
wieder wieder verzerrt wird: so habe ich zum Beispiel schon mal über Ingo
Appelt gelacht, obgleich für den ja bekanntlich nur Leute Gefühle
entwickeln, bei denen Pro7 auf Programmplatz 1 ist. Ferner leide ich beim
Fussball dann am Ende doch wieder mit Deutschland, auch wenn uns das die europäische
Integration eigentlich verbietet und wir stattdessen für Frankreich zu sein
haben. Und letzte Woche habe ich die eine britische Erasmusstudentin nicht
darauf aufmerksam gemacht, dass es aus Verantwortung für die nachwachsenden
Generationen besser gewesen wäre, sie hätte die Mandarinenschalen nicht aus
dem Küchenfenster unseres Wohnheims geworfen. Wenn sie hässlicher gewesen wäre,
ich hätte es mir bestimmt getraut. Ich hoffe, dass diese intime Beichte nicht
weitergepetzt wird.
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So
ist die These vom perfekten Charakter vielleicht etwa gewagt. Aber bis vor
kurzem hatte ich noch einen. Die drei angeführten Beispiele liegen alle noch
nicht lange zurück und an seinem Lebensabend wird man ja im allgemeinen etwas
nachlässiger. Nichtsdestotrotz habe ich lange über meine fiese Art, meine
Umwelt zu beurteilen, nachgesonnen und auch eine mir plausible Erklärung erruriert:
alles lässt sich auf meine S-Skoliose zurückführen, von der mich mit ca. 5
meine Physiotherapeutin in Kenntnis setzte. Damals habe ich mir noch nichts dabei
gedacht, ich konnte ja noch keine Fremdsprache. Und solche kompliziert
klingenden Krankheitsbilder, so nahm man in den 80ern noch an, sicherten einem
auf jeden Fall einen Platz im ZK der SED. Doch alles kam ganz anders. Bevor
ich Karriere machen konnte, öffnete irgendjemand die Mauer und seitdem sorge
ich mit meinen Steuergeldern dafür, dass wenigstens im Westen die
Arbeistlosigkeit niedriger als im
Osten bleibt.
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Schon
in der Grundschule merkte ich, was es hiess, eine S-Skoliose auf seinem Rücken
rumtragen zu müssen. Sie kostete mich bestimmt 1 bis 2 cm, weshalb ich im
Sportunterricht immer an letzter Stelle stehen musste, noch hinter Stephan
Klein und sogar hinter Karoline Kap, obwohl die doch nur ein Mädchen war. Ich
versuchte es auch mit Einlagen, aber die scheuerten nur und behinderten mich
beim Völkerball. Modell konnte ich ja mit aufgescheurten Füssen auch nicht
werden. Das waren die ersten Schicksalsschläge. Und dann haben mich meine
Eltern gezwungen, nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl draussen zu spielen,
während sich meine Altersgenossen die Live-Übertragung vom Gau im Fernsehen
anschauen durften. So hatte ich schon früh ein Gefühl von Deprivation und
soziale Diskriminierung, die sich dann auch später fortsetzte, als ich im
Wedding aufs Gymnasium ging und sich weder Jana noch die Türkinnen für mich
interessierten. Dabei interessierte ich mich für Jana und die Türkinnen. Die
No Angels wollten mich nicht wegen
meiner Vergangenheit mit George Michael und bei Big Brother hatte man mich
lediglich für die fünfte Staffel eingeplant, die aber nur im Offenen
Kanal Berlin zu sehen sein wird. Und alles, ohne mir die Gründe
darzulegen. Ich erklärte mein permanentes Scheitern, hing mir die S-Skoliose
zu sehr zum Halse raus, mit meiner Brille, meinem ungleichmässigen Bartwuchs
und meinen Klumpfüssen, was die Sachen aber auch nicht angenehmer machte.
Kein Wunder also, dass ich zunehmender gebückter lief und verbitterte.
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Das
soll natürlich keine Entschuldigung sein für das Unrecht, für das ich
verantwortlich bin. Durch meine einseitige und unkritische Berichterstattung
kann sich jetzt leider kaum noch
ein Paloiser oder Erasmusstudent in Berlin blicken lassen, besonders nicht die
hässlichen und dummen. Selbst die Einreise nach Deutschland dürfte
aussichtslos sein, da meine V-Texte eine wichtige Quelle für den BND sind.
Und leichtsinnig habe ich wohl unzählige Freundschaften zerstört, denn wer
will schon, nachdem er gelesen hat, dass seine Freundee dumm und hässlich
sind, noch mit ihnen befreundet bleiben. Aber ich hab’s nicht so gemeint.
Das stimmt alles gar nicht, was ich geschrieben habe. Um zu beweisen, dass ich
auch in der Lage und willens bin, die Sonnenseiten des Lebens zu sehen und zu
benennen, hier folgende paloiser Positiv-Liste: ich mag die Laverie
am Place de Forail, die Bilbliothek Arbizon,
Marie Jo und auch ein bisschen meinen Linguistikdozenten M. Lapacherie, obwohl
der mich im Kurs immer anguckt und ich ausserdem nicht weiss, ob man jemanden,
den man gar nicht näher kennt, eigentlich ein bisschen mögen darf oder ob
das genauso ungerecht ist, wie jemanden ein bisschen nicht zu mögen, den man
gar nicht näher kennt. Aber ich werde jedenfalls darauf verzichten, genauer
darauf einzugehen, dass ich mich in meiner vorschnellen Abneigung bestätigt fühlte,
als ich hörte, dass man über die eine süddeutsche Studentin munkelt, sie
habe was gegen bestimmte europäische Völker, Spanier zum Beispiel und
Schwule und Lesben hätten in ihrem jungunionsozialisierten Wertehaushalt auch
keinen Platz, denn mit abschliessendem Zitat bediene ich hoffentlich auch Eure
Erwartungen:
Du
Bist der Jackpot meines Lebens
Zugegeben,
der Vergleich ist eher schief als eben
Doch
wenn Du lachst dann gehn drei Säulen auf
Wir
sind raus und wir sind stolz darauf
Du
hast das Know How und ich Dein Vertraun
Wir
werden das System durchschaun
Und
wenn Du lachst, dann gehn drei Säulen auf
Wir
sind raus und wir sind stolz darauf
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