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Neunzehnte Woche

Mir hier in Pau noch einen grossen Freundeskreis zu erarbeiten, brauche ich mir gar nicht erst anzuschminken. Mittlerweile wissen nicht nur die Deutschen (Deutschinnen) was für einer ich bin, sondern auch die Franzosen. Und das ist wohl auch gut so, zumindest das Zitat. Mit dem gewinnt man immerhin Wahlen. Selbst die französische ETA schickt mir anonyme Emails, in denen sie die Rückgängigmachung meiner Taten fordert und von mir ein grösseres Unrechtsbewusstsein. Da ist natürlich was dran. Ich hab mal kurz aufgerechnet: mit Lob für Land und Leute bin ich tatsächlich viel zu sparsam umgegangen. Stattdessen hab ich nur gezetert, gelästert und alles schlecht gemacht, was mich umgibt. Das wäre alles nicht so schlimm gewesen, würde ich nicht manchmal sogar falsche Unwahrheiten verbreiten. Meine Attitude ist um so verwerflicher, da die betreffenden Personen das auch noch lesen mussten. Davor hätte ich sie wenigstens warnen sollen. Hinzu kommt meine anmassende Selbstbeschreibung als perfekt. Ich musste auch erst mal bei Kristian Kracht nachschauen, um daran erinnert zu werden, dass Perfektion relativ ist.

 

Einen perfekten Menschen gibt es also gar nicht, allenfalls einen perfekten Charakter. Ich darf also bestenfalls von mir behaupten, einen perfekten Charakter zu haben, was jedoch durch einige Ereignisse in letzter Zeit auch wieder wieder verzerrt wird: so habe ich zum Beispiel schon mal über Ingo Appelt gelacht, obgleich für den ja bekanntlich nur Leute Gefühle entwickeln, bei denen Pro7 auf Programmplatz 1 ist. Ferner leide ich beim Fussball dann am Ende doch wieder mit Deutschland, auch wenn uns das die europäische Integration eigentlich verbietet und wir stattdessen für Frankreich zu sein haben. Und letzte Woche habe ich die eine britische Erasmusstudentin nicht darauf aufmerksam gemacht, dass es aus Verantwortung für die nachwachsenden Generationen besser gewesen wäre, sie hätte die Mandarinenschalen nicht aus dem Küchenfenster unseres Wohnheims geworfen. Wenn sie hässlicher gewesen wäre, ich hätte es mir bestimmt getraut. Ich hoffe, dass diese intime Beichte nicht weitergepetzt wird.

 

So ist die These vom perfekten Charakter vielleicht etwa gewagt. Aber bis vor kurzem hatte ich noch einen. Die drei angeführten Beispiele liegen alle noch nicht lange zurück und an seinem Lebensabend wird man ja im allgemeinen etwas nachlässiger. Nichtsdestotrotz habe ich lange über meine fiese Art, meine Umwelt zu beurteilen, nachgesonnen und auch eine mir plausible Erklärung erruriert: alles lässt sich auf meine S-Skoliose zurückführen, von der mich mit ca. 5 meine Physiotherapeutin in Kenntnis setzte. Damals habe ich mir noch nichts dabei gedacht, ich konnte ja noch keine Fremdsprache. Und solche kompliziert klingenden Krankheitsbilder, so nahm man in den 80ern noch an, sicherten einem auf jeden Fall einen Platz im ZK der SED. Doch alles kam ganz anders. Bevor ich Karriere machen konnte, öffnete irgendjemand die Mauer und seitdem sorge ich mit meinen Steuergeldern dafür, dass wenigstens im Westen die Arbeistlosigkeit  niedriger als im Osten bleibt.

 

Schon in der Grundschule merkte ich, was es hiess, eine S-Skoliose auf seinem Rücken rumtragen zu müssen. Sie kostete mich bestimmt 1 bis 2 cm, weshalb ich im Sportunterricht immer an letzter Stelle stehen musste, noch hinter Stephan Klein und sogar hinter Karoline Kap, obwohl die doch nur ein Mädchen war. Ich versuchte es auch mit Einlagen, aber die scheuerten nur und behinderten mich beim Völkerball. Modell konnte ich ja mit aufgescheurten Füssen auch nicht werden. Das waren die ersten Schicksalsschläge. Und dann haben mich meine Eltern gezwungen, nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl draussen zu spielen, während sich meine Altersgenossen die Live-Übertragung vom Gau im Fernsehen anschauen durften. So hatte ich schon früh ein Gefühl von Deprivation und soziale Diskriminierung, die sich dann auch später fortsetzte, als ich im Wedding aufs Gymnasium ging und sich weder Jana noch die Türkinnen für mich interessierten. Dabei interessierte ich mich für Jana und die Türkinnen. Die No Angels wollten mich nicht wegen meiner Vergangenheit mit George Michael und bei Big Brother hatte man mich lediglich für die fünfte Staffel eingeplant, die aber nur im Offenen Kanal Berlin zu sehen sein wird. Und alles, ohne mir die Gründe darzulegen. Ich erklärte mein permanentes Scheitern, hing mir die S-Skoliose zu sehr zum Halse raus, mit meiner Brille, meinem ungleichmässigen Bartwuchs und meinen Klumpfüssen, was die Sachen aber auch nicht angenehmer machte. Kein Wunder also, dass ich zunehmender gebückter lief und verbitterte.

 

Das soll natürlich keine Entschuldigung sein für das Unrecht, für das ich verantwortlich bin. Durch meine einseitige und unkritische Berichterstattung kann sich jetzt leider kaum  noch ein Paloiser oder Erasmusstudent in Berlin blicken lassen, besonders nicht die hässlichen und dummen. Selbst die Einreise nach Deutschland dürfte aussichtslos sein, da meine V-Texte eine wichtige Quelle für den BND sind. Und leichtsinnig habe ich wohl unzählige Freundschaften zerstört, denn wer will schon, nachdem er gelesen hat, dass seine Freundee dumm und hässlich sind, noch mit ihnen befreundet bleiben. Aber ich hab’s nicht so gemeint. Das stimmt alles gar nicht, was ich geschrieben habe. Um zu beweisen, dass ich auch in der Lage und willens bin, die Sonnenseiten des Lebens zu sehen und zu benennen, hier folgende paloiser Positiv-Liste: ich mag die Laverie am Place de Forail, die Bilbliothek Arbizon, Marie Jo und auch ein bisschen meinen Linguistikdozenten M. Lapacherie, obwohl der mich im Kurs immer anguckt und ich ausserdem nicht weiss, ob man jemanden, den man gar nicht näher kennt, eigentlich ein bisschen mögen darf oder ob das genauso ungerecht ist, wie jemanden ein bisschen nicht zu mögen, den man gar nicht näher kennt. Aber ich werde jedenfalls darauf verzichten, genauer darauf einzugehen, dass ich mich in meiner vorschnellen Abneigung bestätigt fühlte, als ich hörte, dass man über die eine süddeutsche Studentin munkelt, sie habe was gegen bestimmte europäische Völker, Spanier zum Beispiel und Schwule und Lesben hätten in ihrem jungunionsozialisierten Wertehaushalt auch keinen Platz, denn mit abschliessendem Zitat bediene ich hoffentlich auch Eure Erwartungen:

Du Bist der Jackpot meines Lebens

Zugegeben, der Vergleich ist eher schief als eben

Doch wenn Du lachst  dann gehn drei Säulen auf

Wir sind raus und wir sind stolz darauf

 

Du hast das Know How und ich Dein Vertraun

Wir werden das System durchschaun

Und wenn Du lachst, dann gehn drei Säulen auf

Wir sind raus und wir sind stolz darauf