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Einundzwanzigste Woche
 

Gesteigerter Patriotismus lässt sich bei einem längeren Frankreichaufenthalt nur mit Mühe unterdrücken. Aber wer macht sich die schon? Ich habe jedenfalls aufgehört, mich gegen meine Bedürfnisse zu stemmen, rauszufinden, wo Deutschland überall besser ist. Obgleich es sicherlich weitaus weniger Aufwand bedeuten würde, zu recherchieren, in welchen Domänen Frankreich die Nase vorn hat. Meine innere Selbstaufgabe geht soweit, dass ich mich mittlerweile sogar wieder für die Fussballbundesliga interessiere. Dabei glaubte ich, diese Krankheit längst überwunden zu haben. Schon in der neunten Klasse machte ich nämlich die lehrreiche Erfahrung, dass es mir bei der Türkin Cenet keine Pluspunkte brachte, wenn ich in ihrer Gegenwart anfing, den HSV zu loben. Sie wollte sich danach trotzdem nicht von mir ins Kino entführen lassen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, Galatasaray und Fernabaçe hätten mir auch nicht geholfen. Ich zog die richtige Schlussfolgerungen daraus: Cenet sah zwar gut aus, hatte aber einen doofen Charakter. Fussball brachte einen im Leben nicht weiter. Ich hörte auf, meine Zeit damit zu verschwenden. Wie man sieht, mit Erfolg. Seit der neunten Klasse hatte ich statistisch betrachtet weitaus häufiger Sex, als davor.

 

In Frankreich ist das aber wieder umgekehrt. Ich habe hier statistisch betrachtet wieder genauso viel Sex, wie vor der neunten Klasse, mit dem feinen Unterschied, dass ich mich jetzt nicht mehr damit rausreden kann, noch warten zu wollen, bis ich 18 bin. 18 war ich nämlich auch schon mal vor einigen Jahren. Was bleibt mir und Florian, dem es, wie mir scheint, ähnlich geht, da anderes übrig, als uns von deutschem Ligafussball trösten zu lassen. Die Logistik haben wir jetzt immerhin im Wohnheim, seitdem die Araber eine Petition einreichten mit der Bitte um einen Satellitenanschluss, damit sie sich auf Al Jazera immer das wöchentliche Starinterview mit Osama bin Laden anschauen können. Deutsches Fernsehen war im Paket mit inbegriffen. Das einzige Hindernis bestand noch darin, den Arabern die Fernbedienung zu entlocken, die nach britischem Gewohnheitsrecht längst ihr Eigentum geworden ist, was sicherstellt, dass andere nicht auch mal gucken. Aber Florians Strategie, mit allen Arabern auf Du zu sein und nicht zu widersprechen, wenn sie ihn davon zu überzeugen versuchen, Adolf Hitler sei eine der grossen Lichtgestalten der Menschheitsgeschichte, wurde doch belohnt. Die Deutsch-Arabische Solidarität wurde auch in der Cité Corisande d’Andoins nicht infrage gestellt. Florian brauchte einfach nur den Araber neben ihn zu fragen: «Tu veux regarder du football allemand.» Der traute sich dann nicht nein zu sagen. Und im Grunde hatte er auch nichts zu verlieren. Besser als die französische Première Division ist die Bundesliga allemal. Ausserdem spielt man in Frankreich immer erst nach zwanzig Uhr, damit die Franzosen noch in Ruhe die Tagesschau zu Ende schauen können.

 

Wichtig war es nun, zu verhindern, dass der Araber (die anderen beiden hatten nicht nein gesagt, waren aber dafür gegangen) sich nicht langweiligte und auf dumme Gedanken kam, wie zum Beispiel umzuschalten. Das war unumstritten Florians Aufgabe, hatte er sich doch schon viel besser mit der arabischen Mentalität vertraut gemacht. Er versuchte, den deutschen Kommentar - so gut es ging - ins Französische zu übersetzen. So hatte der Araber auch was davon. Natürlich musste er dabei auch ein bisschen flunkern. Werner Hansch kann es sich leisten, ein Spiel als «beschissen» zu bezeichnen. Florian hingegen hatte sich so zu verhalten, als sei das 2:1 von Wolfsburg gegen Cottbus ein echter Knaller, was eigentlich unmöglich war und von dem Araber auch sofort angezweifelt wurde, indem er sich als nur löchriger Deutschlandexperte zu erkennen gab. «Tu connais ces deux clubs? Cottbus et Wolfsburg?» «Non, mois je connais seulement Munich.» «Ah bon. Munich. Ils jouent contre Dortmund. Mais ça c’est plus tard. C’est le match le plus important.» Kein Wunder, dass ihm Cottbus und Wolfsburg nichts sagten. Da gibt’s keine Unis, zumindest keine, die von Arabern ernsthaft fürs Studium in Erwägung gezogen wird. Er sollte aber nun nicht denken, deshalb sei das Match nicht sehenswert. Als Geographiestudent wusste sich Florian zu helfen und er erteilte ein bisschen Nachhilfeunterricht: «Tu sais? Wolfsburg ce sont des Wessis. Wessi ça veut dire, des Allemands de l’Ouest. Ils font des voitures, des VWs. Cottbus c’est à l’Est. Là bas, ils ne font rien. Ce sont des chômeurs. Moi je suis pour Cottbus, parce que je suis aussi de l’Est comme Stephan. Lui il est aussi pour Cottbus.» Es war nicht eindeutig auszumachen, ob ihn diese Erklärung zufrieden stellte, denn er antwortete lediglich: «Oui!»

 

Bei dem Match Hertha gegen Stuttgart kam Florian entgegen, dass gerade Jürgen Röber gegen Falko Götz als Trainer ausgetauscht wurde. «Tu connais Berlin et Stuttgart?» «Non! Je connais seulement Munich.» «Ah oui. Munich, c’est plus tard. Contre Dortmund. C’est le meilleur match. Mais Berlin c’est la capitale d’Allemagne. Et Stuttgart, c’est la capitale de Baden Würtemberg. Mes les supporteurs de Berlin sont très fachés parce qu’on a viré Jürgen Röber. C’était un entraineur très populaire. Maintenant on a Falko Götz. Il y a des banderoles avec lesquelles les supporteurs expriment leur mécontentement.» «Oui!» Die übrigen Spiele waren wegen der hohen Siege weitaus einfacher zu kommentieren, abgesehen von Bremen gegen Kaiserslautern. Aber in dem Spiel war dem Araber wenigstens Bremen ein Begriff. Ansonsten klatschte Florian bei jedem Tor genüsslich mit seinen Händen auf die Schenkel und tat zum Beispiel so, als könne er das 5:0 von Leverkusen gegen Gladbach nicht fassen, obwohl er sich kurz vorher im Internet über das Reslutat informiert hatte. Ich fand ja nicht, dass er das dem Araber auch noch hätte mitteilen müssen. Aber bisher hatte ich mich nicht eingemischt. So verbesserte ich Florian auch diesmal nicht. Es ging auf. Florian meisterte sogar die 10 Werbepausen vor dem Bayern-Dortmund-Spiel, indem er bei jedem zweiten Spot bemerkte: «Regarde! C’est de la pub allemande.» Bei der anderen Hälfte erinnerte er daran, dass bald Bayern gegen Dortmund komme.

 

Bayern gegen Dortmund wurde seinem Ruf als Top-Spiel jedoch nicht gerecht. Aber die Vorfreude hatte ich schon mit meinem Internetbesuch abgelegt. Nur Florian hatte das 1:1 Endergebnis absichtlich vergessen, um die Überraschung gegenüber dem Araber auch überzeugend zu spielen. Sat 1 hatte Vorkehrungen getroffen und den Werbeblock vorsorglich fünfmal durch das Spiel unterbrochen, damit niemand merkte, wie schlecht beide Teams eigentlich auf dem Rasen aussahen und dass Tomas Rosicky wieder kein Tor erziehlt hatte, obwohl das doch mein Lieblingsspieler war. Man schmeckt in solchen Momenten bitter, was man sich von Ran eigentlich alles nicht gefallen lassen müsste. Aber dazu ist das Leben ja da, dass man nichts dagegen unternimmt. Ganz schlimm schien es aber für den Araber offensichtlich nicht gewesen zu sein, denn am nächsten Tag waren er und seine Freunde beim Finale des Afrika Cups doch wieder für Kamerun, weil die nicht wie Senegal von einem Franzosen trainiert werden, sondern von Winnie Schäfer, was dann auch zum Sieg gereicht hat.