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Achtundzwanzigste Woche
«Stephan.
Sprich Du mit ihnen! Dich mögen die.» Das war natürlich leicht gesagt. Beim
Fussball hört bekanntlich die Freundschaft auf, selbst zwischen Arabern und
Deutschen. Wie sollte es mir da gelingen, sie zu überreden, sich am heutigen
Abend mit der Blechtrommel von Schlöndorf abzufinden ? «Das ist ein
deutscher Film. Der hat 1979 zusammen mit Apocalypse
Now die goldenen Palme in Cannes bekommen. Wir engagieren uns mit diesem
Film auch gegen den Rassissmus.» Das waren Argumente, die im paloiser
Studentenwohnheim Corisande nicht zogen. Die marrokanischen Studenten hatten
zwar grundsätzlich nichts dagegen, wenn man sich für sie einsetzte, aber am
richtigen Ort und zur richtigen Zeit. Mit den zwei Film-Abenden gegen den
Rassissmus machte die kommunistische Studentengewerkschaft Solidarité Etudiante zwar fast alles richtig. Der Eintritt war
umsonst, man konnte sich also kostenlos engagieren, und das Konzept war glaubwürdiger
als das vor einigen Jahren auf dem Alexanderplatz veranstaltete Saufen
gegen Rechts, bei dem sich nach Augenzeugenberichten Faschos und Punks die
Klinke in die Hand gegeben haben sollen, weil es nur deutsches Bier gab und
keinen White Russian. Ich hatte mich damals demonstrativ für Nicht
Saufen gegen Rechts entschieden, da ich zu der Zeit noch gegen Alkohol
war. Diesmal konnte ich mich vollauf mit dem Programm identifizieren, zumal
ich damit zwei weitere Kinobesuche auf meinem Konto hatte und mich im
familieninternen Wettbewerb, wer die meisten Filme im Jahr sah, weiter von
meinem Vater absetzen konnte.
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Fast
alles richtig zu machen, ist eben aber nicht das Gleiche, wie alles richtig zu
machen. Mississipi Burning, dem Film
am Dienstag im grossen Amphitheater der Uni, sollte sich eigentlich eine
Diskussion über die Diskriminierung der Schwarzen in den USA anschliessen,
was vorher hätte angesagt werden sollen, da die Leute es aus den Megakinos
gewohnt sind, den Saal schon zu verlassen, während es noch dunkel ist, um
Platz für die folgende Vorstellung zu machen. Ich bin in der Regel der
Einzige, der sich noch den Abspann anschaut und sich vom Hauptdarsteller bis
zum Praktikanten jeden Mitwirkenden notiert, damit er damit irgendwann mal
angeben kann.
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Es
liess sich jedenfalls schlecht über Rassissmus diskutieren, wohl auch, weil
wir drei Verbliebenen - neben mir noch der, der den Film vorgeschlagen und der, der
den Film aus der Videothek ausgeliehen hatte - alle einer Meinung waren. Ich
hatte nur zwei Fragen, zwei Bemerkungen und einen Vorschlag parat. Als Fragen,
ob sich das wirklich so zugetragen hätte und ob das heute in Mississippi
immer noch so schlimm sei wie in den Sechzigern; als Bemerkungen, dass mich
die Situation der Schwarzen schockiere und dass es schade sei, jetzt nur noch
zu dritt die Diskussion zu führen; als Vorschlag, man könne ja beim
nächsten Mal die Türen zuschliessen, damit keiner rauskomme, bevor er sich
nicht durch zwei Wortbeiträge in die Debatte eingebracht hatte. Ich sagte
aber letzlich nichts und hörte stattdessen den beiden dabei zu, wie sie den
Einsatz der Musik im Film ästhetisch einordneten und erfuhr dabei immerhin,
dass der Regisseur Alan Parker auch Fame
und Evita verbrockt hatte.
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Der
andere Schnitzer unterlief der Solidarité
Etudiante damit, die Blechtrommel
Mittwoch abend im Fernsehraum des Wohnheims zeigen zu wollen. Mittwoch abend
war aber Championsleague: Real gegen Bayern. Dieses Missgeschick konnte nur
Linken mit ihrer Sportphobie unterlaufen. Ich hatte rechtzeitig begriffen,
dass gegen Fussball keine Revolution zu gewinnen war, weshalb ich mich
notgedrungen schon seit Jahren mit ihm beschäftigte. Ich glaube, ich durfte
auch nur Mitglied der Solidarité
Etudiante werden, weil sie sich mit mir versprachen, das Ohr näher am
Volk zu haben. Um so peinlicher war es mir, bei der Terminfestlegung für die Blechtrommel
gepatzt zu haben, so dass ich dann später auch nicht mehr auf den
Interessenkonflikt hinwies und lieber heimlich meine Freunde in Pau agitierte,
sich den Film anzuschauen, damit die Filmfraktion den Fussballfans
zahlenmässig nicht zu deutlich unterlegen war. War sie aber doch, weil ich
nämlich, bevor ich meine Freunde agitieren konnte, zunächst welche finden
musste, die ich agitieren konnte, damit sie meine Freunde wurden. Die
zwischenmenschlichen Beziehungen hatte ich seit Beginn meines
Erasmusaufenthaltes sträflichst vernachlässigt. Zum offiziellen Beginn des
Films um 20 Uhr war das Kräfteverhältnis im Fernsehraum noch ausgeglichen,
aber angepfiffen wurde auch erst um 20.45 Uhr und ausserdem hatte wir zwar
reserviert, die Marrokaner aber immer noch nicht überredet, die Fernbedienung
rauszurücken, die sie schon seit Jahren in ihrem Besitz hatten. Wegen dem
traditionell guten Draht zwischen Deutschen und Arabern richteten sich die
Hoffnungen verständlicherweise auf mich. Ich versuchte, ihnen zunächst ins
Gewissen zu reden, indem ich sie darauf aufmerksam machte, dass sie Engagement
gegen den Rassissmus unterbanden und sich dies somit auch gegen sie selbst
richte. Mit diesem Konflikt waren sie bereit zu leben. Im Stadtzentrum seien
viele Bars, in denen das Spiel übertragen werde. Den Weg wollten sie nicht
auf sich nehmen. Ich bot an, ihnen mein Radio zu borgen. Sie lehnten ab.
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Meine
Resignation ergänzte sich prima mit meiner Gereiztheit. Ich nahm mir vor, in
den nächsten Diskussionen über den Nahostkonflikt Israel zu verteidigen. Das
würde meine Vergeltung sein, auch dafür, dass sie im heutigen Spiel eh
wieder für Madrid waren, ein Verein, dem
Franco jahrelang die Siege nur so zuschob und der davon immer noch
zehrt, weil Real im Gegensatz zum BFC Dynamo seine Spieler nach Mauerfall
nicht alle in den Westen verkaufen musste. Schliesslich gab es den in Spanien
schon. Die Blechtrommel-Vorführung
wich notgedrungen in das Appartment eines Solidarité Etudiante-Aktivisten
aus, der seinen Videorecorder zur Verfügung stellte. Es schauten sich
allerdings nur fünf Leute den Film an, was aber bei der Grösse des
Bildschirrms durchaus nicht von Nachteil war. Ich musste mir die Frage
stellen, ob ich das somit noch als Kinobesuch verbuchen durfte oder nur als
Videoabend. Reichte es, die Veranstaltung mit dem Attribut Ciné Club zu
schmücken oder mussten auch die äusseren Umstände geboten sein? Und dann
verstand ich die Schauspieler auch noch so schlecht, dass ich auf den
französischen Untertitel angewiesen war und mir anschliessend den Inhalt von
den Franzosen erklären lassen musste. Allein die spätere Erkenntnis, Bayern
nicht beim Ausscheiden zugesehen haben zu müssen, munterte mich im Nachhinein
noch ein wenig auf.
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