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Zweiunddreißigste Woche

Bald ist wieder Weihnachten. Vorher schaut aber noch der Sommer vorbei, falls der es sich nicht anders überlegt. Darauf muss man auch erst mal kommen. Zumindest lässt sich nicht bestreiten, dass in den warmen Monaten des Jahres viele nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen und meinen, dies durch einen zwischenzeitlichen Ortswechsel verbergen zu können. Seit letzter Woche ist im Prinzip auch für die meisten klar, wo es diesmal im Urlaub hingehen soll: nach Perpignan oder nach Barcelona. Na gut, fast klar. Der Gewinner muss also vorher noch ermittelt werden. Den Ausschlag sollte dabei die Jugendherberge geben. Jugendherbergen sind heute das Einzige, woran sich Orte wirklich noch wissenschaftlich unterscheiden lassen. Hier der neueste Vergleich, der immer noch als ultimativ bezeichnet werden kann: 

 

Name: Der Name der Jugendherberge ist eigentlich total unwichtig und nur überflüssiger Schmuck, der nichts besser macht. Trotzdem sind manche so doof, darauf auch nur einen Cent zu geben. Verschweigen wäre aber fies, weil der Name nun mal dazugehört. Die Jugendherberge in Barcelona nennt sich Alberg Kabul, aus Solidarität mit den Taliban, deren Mitglieder dort nach gerüchteweise kursierenden Gerüchten umsonst logieren können. Dieses Kunststück ist mir aber nicht geglückt, obwohl ich am Empfang einen Vortrag über meinen Lieblingspolitiker Osama Bin Laden gehalten habe. Man brauch also wirklich eine Taliban- oder besser noch Al Quaida-Mitgliedskarte. Internationaler Studentenausweis reicht dafür nicht. Den Namen von der Jugendherberge in Perpignan habe ich vergessen, irgendwas mit auberge, aber darin sollen sich ja alle Exemplare in Frankreich gleichen. Vorteil also für Barcelona. 

 

Weg dorthin: Um sich der Alberg Kabul zu nähern, empfiehlt sich zunächst ein Abstecher nach Barcelona, zum Bahnhof zum Beispiel, Estacion Central Barcelona-Sants. Dann wird der Routard-Guide Espagne hervorgeholt, sofern das nicht schon wie bei mir im Zug geschehen ist. Ein wenig kurz in der Bahnhofshalle rumgestanden, wie ein Tourist geguckt, oder einfach seinen Reiserucksack sprechen lassen, ehe man sich versieht, wird man auch schon von einem Touristenjäger angequatscht und bekommt einen Flyer in die Hand für die Alberg Gothic Point: we are expensive but the best. Aber immer noch billiger als Alberg Kabul. Frühstück soviel, wie man schafft. Ignorieren, nur auf gleiche Lage achten: «How to go there?» «Taxi!» «No, I’d like to use my feet.» «No, it’s to far. Taxi is better.» «It doesn’t derange me. I’m a good walker.» «O.K. Take this direction.» In den nächsten Bahnhofskiosk. «Hello. I want too go to here. You see on my guide. Which is the best way?» «No entiendo.» «Do you speak english?» «No, a little.» «Français?» «No!» « Deutsch?» «No.» «Espagnol?» «Sí.» «Pero, yo no hablo bien. Como ir aqui, al centro.» «Taxi.» Konversation mit einem gracias abgebrochen und die Touristeninformation gesucht: «Do you speak english?» «Yes.» «And french.» «Yes.» «What do you prefer?» «It’s the same for me.» «D’accord. Alors, j’aimerais avoir un plan de ville et un répertoire des auberges de jeunesse.» «Voilà.» «Alberg Kabul, ça dure combien de temps à pied?» «C’est trop loin. Il faut prendre un taxi.» «Mais j’ai une bonne condition physique.» «Peut-être une heure.»

 

Diese Zeit ist einhaltbar, auch mit meinen Klumpfüssen, aber nur, wenn man trotz Karte bei jeder zweiten Seitenstrasse jemanden nach dem Weg fragt und kurz vor dem Ziel noch mal sämtliche Jugendherbergen im Verzeichnis durchgeht, für den Fall, dass die Alberg Kabul belegt ist, in Wirklichkeit aber nur, um rauszukriegen, dass alle anderen Herbergen auch im Feld L3 liegen, welches sich aber auf dem Stadtplan, den man erhalten hat, aus unerklärlichen Gründen dort befindet, wo es keine Jugendherbergen gibt. Kurz hinter der Calle de Ferran die Les Ramblas in Richtung Nordosten verlassen. Sollte es unangenehm riechen, dann ist man richtig  und schnell auf dem Plaça Reial. Das letzte Hindernis überwindet man, indem man dem Typen vor dem Restaurant, der einem einen Flyer von der Pension Diamante, Übernachtung 20 Euro, in die Hand drückt, nicht glaubt, dass die Alberg Kabul schon voll ist und sich trotzdem nach freien Betten erkundigt. Da die Spanier voll von Stolz sind, empfiehlt sich ihm gegenüber die Ausrede, man statte einem in der Herberge untergebrachten Freund einen Besuch ab. Habe ich aber nicht gemacht. Schliesslich ist das eine sehr einfallslose Ausrede und der Typ log mir echt zu dreist. Da hatte er den Salat, selber schuld.

 

Steuert man die Jugendherberge in Perpignan sollte nicht erst bzw. nicht schon in Barcelona ausgestiegen werden, auch wenn das alles eine Frage der Perspektive ist, dennoch aber zu Fuss etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, als es sich jeder Mensch leisten kann mitzubringen. Hat man Perpignan erst mal erreicht, ist das Ziel nicht mehr weit. Einfach den Bahnhof verlassen, in die Avenue du Général de Gaulle und die erstbeste deutsche Rentnerin nach dem Weg gefragt. Man braucht dazu gar nicht zu suchen. Im Normalfall erwischt man eine, sofern es sich nicht um einen Mann handelt. Natürlich wird erst mal auf Französisch angefragt. Aber das gehört nun mal zum guten Ton, im Ausland zunächst seine Fremdensprachenkenntnisse unter Beweis zu stellen, um dann doch zu übereinkommen, dass es auf Deutsch eigentlich viel besser klappt. Auf dem letzten Stück habe ich mir dann noch von zwei jugendlichen Clochards den Weg zeigen lassen. «Monsieur vous n’avez pas par hasard des pièces pour nous?» «Non, mais je cherche l’auberge de jeunesse.» «On peut vous accompagner. C’est pas loin.» Fünfzig Meter weiter. «C’est là-bas. Vous voyez?» «Oh merci.» «Vous n’avez pas par hasard des pièces pour nous?»  «D’accord, parce que vous m’avez montré l’auberge. Bon, deux Euros, merci.» Es bleibt nachfolgenden Generationen überlassen zu beurteilen, ob zwei Euro für fünfzig Meter zu grosszügig sind oder nicht, auf jeden Fall kein schlechter Stundenlohn.

Preis: Barcelona 17 Euro, Perpignan 14.  Barcelona kostet also mehr, kein Wunder, liegt ja auch in Spanien.

 

Jugendherbergsmaskottchen: Gibt’s in Barcelona praktisch nicht. Am Empfang wechseln sich die Nebendarsteller ab, so dass man gar nicht dazu kommt, sich die Gesichter zu merken. Da ist es in Perpignan schon überschaubarer. Eine alte Frau über zwanzig wacht seit mehreren Jahrzehnten über das Anwesen und die ist auch schon keine Sechzig mehr. Das Klischee, dass Rothaarige in der Regel etwas eigenartige Menschen sind, liess sie nicht auf sich sitzen. Die Einweisung in die Jugendherbergsregeln erfolgte mit militärischem Pfiff. Ich richtete mich aber trotzdem nicht danach, weil sie bayerte und ich nichts verstand. Südfrankreich ist ja bekannt für sein Rumgebayer, nur dass es sich eben um die französische Variante handelt. Im Gegenzug konnte ich es mir aber abschminken, mit meinen Anliegen und Fragen bei ihr Gehör zu finden, da sie einem grundsätzlich nur so lange Aufmerksamkeit schenkt, bis sie selbst ausgeredet hat. Mich hat sie aber wohl alles in allem doch ins Herz geschlossen, wenn sie mir ihre Zuneigung auch auf recht ungewöhnliche Weise vermittelte. Ich versuchte ihr die Info zu entlocken, ob man denn für Barcelona vorher telefonisch einen Jugendherbergsplatz reservieren müssen, statt mir zu antworten, begann sie zu tanzen und dabei auf den Fernseher zu starren, in dem man gerade Alain Madelain sah. Ich gab darauf eine kleine Kostprobe meiner Allgemeinbildung: «Ah, c’est Alain Madelain, non?» Watsch, hatte ich mir eine kleine Hinterkopfschelle eingefangen. Ich kann mir das nur so erklären, dass im Süden die Menschen eher ruppig sind und Probleme damit haben, ihre Zuneigung auch mit den angemessenen Ausdrucksmitteln deutlich zu machen. Ein wenig brummt mir noch heute der Schädel, aber mit fünf Aspirin geht’s so einigermassen. Ausserdem bin ich irgenwie auch froh, um einen Zungenkuss noch einmal herumgekommen zu sein. Das hätte mich doch in eine heikle Situation gebracht. Was hätte meine Freundin gesagt, wenn ich sie mit einer 65jährigen französischen Herbergsmutter aus Perpignan betrogen hätte? Sie wäre bestimmt sehr eifersüchtig, selbst wenn ich behaupten würde, es ginge mir nur um den Sex.

Dass ihr an meiner Zufriedenheit gelegen war, zeigte sich auch am Morgen meiner Abreise: «L’homme, qui est arrivé très tard hier soir, il n’a pas ronflé (geschnarcht).» «Non, pourquoi?»  «Il est vieux et allemand. Et les vieux Allemands ronflent quand ils dorment.»

Assistiert wird ihr von einem grauhaarigen Mann, der permanent in weisser Psychatriepersonalskleidung rumrennt und von ihr liebevoll «ce vieil enfoiré» genannt wird. Ich konnte nicht rauskriegen, ob es sich bei ihm um ihren Mann, ihren Vater oder ihren Sohn handelt. Wahrscheinlich trifft alles zu.

 

Ambiente: Gegen die Ikeadoppelstockbetten in Barcelona ist an sich nichts einzuwenden. Es ist auch gegen die Ikeadoppelstockbetten nichts einzuwenden, allenfalls, dass eine Begrenzung auf unter zehn im Zimmer nicht schaden würde. Aber dafür wird kein Deutsch gesprochen, wenigstens etwas. Perpignan erinnert eher an eine Armeekaserne, mal eine neue Erfahrung, besonders für jemanden wie mich, der wegen seiner Klumpfüsse ausgemustert wurde. Mein Vater kann mir jedenfalls von nun an nicht mehr vorhalten, ich könne gar nicht nachempfinden, wie es damals zugegangen sei. Nicht schmuck, aber passend sind dort auch die braunroten Spinde, für die man sich am Empfang ein Vorhangeschloss ausborgen kann. Ich musste trotzdem erstmal meinen Rucksack komplett leerräumen, weil er sonst nicht reingepasst hätte. Die Wertgegenstände habe ich dann unter meiner ebenfalls braunroten Steppdecke versteckt, womöglich ohne Grund, da in Perpignan im Gegensatz zu Barcelona nicht geklaut wird.

 

Toiletten: Toiletten sind überaus wichtig, besonders für die, die nötig müssen und in solch einer Situation befand sich ja praktisch jeder schon mal. Wer allerdings im Wohnheim haust, der wird ziemlich schnell hygieneunempfindlich, eine Überlebensstrategie, die nicht nur fruchtet sondern obendrein noch notwendig ist, aber von einem erfordert, sämtliche Sinnesorgane unwiderbringlich zu zerstören, selbst das Kotzbedürfnis, aber das geht meistens mit einher. Allenfalls die Ohren darf man behalten, weil man sonst so leicht das Gleichgewicht verliert und reinplumpst in die Scheisse, die im Wohnheim von manchen auch in die Duschen gemacht wird, kein Wunder, die wissen ja nicht, dass das die Duschen sind. Darum bin ich auch nicht mehr sensibel genug, um Barcelona und Perpignan richtig würdigen zu können, nur soviel: saubergemacht wird in Barcelona gegen 10 Uhr vormittags. Ist man nach den Putzfrauen der erste, dann sind die Chancen, unversehrt auch wieder rauszukommen, so schlecht nicht.

 

Drogen: Neben Toiletten ein weiterer Grund, weshalb man Jugendherbergen den Hotels vorzieht. In Barcelona einfach aus der Herberge raus, kurz hingekniet und Schuhe zugebunden, schon hat man mehrere Dealer am Hals. Der Verdrängungswettbewerb ist so gross, dass man auch ruhig sagen kann: «So. Macht das mal erst mal unter Euch aus. Wer von Euch der Stärkste ist, bei dem kaufe ich. » Allerdings wusste ich nicht, wie man das auf Spanisch sagt. Es ist hingegen etwas lästig, sollte man keine Drogen wollen. Da sollte man schon schneller rennen als die Dealer. Das erinnert dann ein bisschen an Fang-mich, ist aber viel aufregender. Ich bin eigentlich in der Grundschule im Sechzigmeterlauf immer als Vorletzter eingetroffen. Nur der dicke Normen war noch hinter mir. Darum habe ich mir irgendwann auch eine Teilsportbefreiung besorgt, in der drin stand, dass ich nur die Sportarten ausüben darf, die mir liegen. Gar keine also, sieht man mal von Radsportschauen ab, aber die ist ja nicht so anerkannt. Ich bin zwar auch heute nicht schnell, dafür aber flink wie ein Wiesel. Kam ich aus der Herberge, rannte ich immer im Zickzacklauf über den Placa Reial, was mir die ungeteilte Aufmerksamkeit sämtlicher Touristen sicherte und die Dealer so in Schwindel versetzte, dass sie mich nicht zu fassen bekamen.

 

In Perpignan ist ein hohes Tempo nicht erforderlich. Man kann schlendern, selbst humpeln weckt noch nicht die Wölfe. Humpeln weckt noch nicht die Wölfe: ein gelungenes Bild für jemanden wie mich, der seit Oktober dabei ist, Deutsch zu verlernen. Alkohol und Zigaretten sind frei erhältlich, bis Ladenschluss, danach muss man an den Automaten oder sich was einfallen lassen. Mit Haschisch, Koks, Heroin und harten Drogen ist es schon etwas schwieriger. Man könnte dazu vielleicht im gegenüber von der Jugendherberge liegenden Polizeikommissariat nachfragen. Jedoch haben die sehr selten ihre Spendierhosen an.

 

Mahlzeiten: Es ist ein offenes Geheimnis, dass es bei den Völkern südlich der Mainlinie sowas wie Frühstück gar nicht gibt. In der Regel haben die nicht mal eine Idee davon. Darum wundern die sich jeden abend wieder, warum sie so einen Kohldampf haben und mit dem Essen erst gegen Mitternacht fertig werden. In Barcelona bleibt man diesem Anspruch treu. Ich stehe trotzdem morgens auf, schliesslich habe ich mein Breakfast bezahlt. Deutschland gibt den Spaniern schon genug Entwicklungshilfe, damit Real Madrid alle zwei Jahre die Champions-League gewinnt, da darf man die Chancen nicht ungenutzt lassen, auch mal ein bisschen zurückzubekommen. Das ist aber nur ein bisschen, Spaniern unterstellt man nicht zu Unrecht, die Könige des Geizes zu sein. Ein klebriges Croissant, bei dem man überdies die Hälfte selbst mit Ätze nicht mehr von den Fingern abbekam - und wie sollte man das danach dann noch essen – musste reichen, um den Hunger zu aktivieren. Ich habe meine Hände anschliessend mit der Serviette umwickelt, die es noch dazu gab, damit die Schmadderei niemand zu Gesicht bekam.

 

In Perpignan gibt’s Aprikosenmarmelade, nicht gerade was für Feinschmecker. Überhaupt haben es die meisten Jugendherbergen immer noch nicht begriffen, dass ich nur Himmbeerkonfitüre akzeptiere. Die Frage nach der Marmeladensorte zum Frühstück wird obendrein noch in sämtlichen Jugendherbergsführern sträflichst ignoriert. Ein wenig enschädigt einen der Tee, der Café oder die Milch, die auch mehrmals nachgefüllt werden. Baguette darf man auh praktisch bis zum Platzen essen, ein Trost für die, die nicht schon wie ich nach mehreren Baguettemonaten im Februar aus Ekel auf Vollkorntoast von Lidl umgestiegen sind. Aber die eigentliche Attraktion sind eh die Tischnachbarn. Die Herbergsmutter sorgt höchstpersönlich für die Komposition und dafür, dass alle nebeneinander sitzen, damit keiner ausgeschlossen wird. So erfuhr ich zum Beispiel, dass der Mann, der von ihr des Schnarchens verdächtigt wurde, Ulf hiess, aus seinem Gespräch mit Dieter aus Dresden. Als sich Thomas, Mike und Jan ebenfalls in die Konversation einklingten, bestätigte sich mir mal wieder der Verdacht, dass Deutsche offensichtlich einen sehr deckungsgleiche Essenszeiten haben. Ich entschied mich aber dagegen, meine Identität zu enthüllen. Leider wandte sich Dieter an mich, der offensichtlich fürchtete, ich langweile mich: «Et vous Monsieur, vous êtes d’où?» «Deutschland.» «Das ist ja schön. Die anderen hier auch.» «Na, welch ein Zufall.» Somit lag die Verantwortung für einen gelungenen Frühstücksplausch auch auf meinen Schultern. Hier nur mein bester Satz an dem Morgen: «Irgendwie sind ja alle Berliner Sachsen.»

 

In Barcelona gibt es keine Küche, damit die Gäste sich zum Abendbrot einen für 10 Euro einen halben Kebab beim nächtsliegenden Araber holen. In Pau gibt’s eine Küche, ich kann aber nicht kochen. Hat man Glück, sind gerade ein paar japanische Weintouristen vor Ort. Man wartet einfach den richtigen Augenblick ab, marschiert zu ihnen in die Küche und bemerkt: «Salut. Mhm, ça sent bien.» Dann bietet man ihnen was von seiner Wasserflasche und einer Chipstüte an, die man vorsorglich mitgenommen hat. Das gute an den Japanern ist es, dass es ihr Ehrenkodex nicht zulässt, nein zu sagen. Ihr Ehrenkodx schreibt ihnen auch vor, den Besucher mitessen zu lassen. Angenehmer Nebeneffekt, man kann im Nachhinein sagen, man war beim Japaner, Chinese geht aber auch, da für viele Europäer das eh Ein- und Dasselbe ist.

 

Sehenswürdigkeiten: Gibt’s in Barcelona, guckt man sich aber nicht an. Man fährt ja nicht in eine Jugendherberge nach Barcelona, um sich dann Kathedralen und Museen anzuschauen, ausser vielleicht ich, aber das hat seine Gründe und ich stehe dabei auch nicht wirklich hinter mir, zumal mein Fotoapparat nur bei jedem fünften Versuch funktionierte. In den Parc Güel braucht man nicht zu gehen, denn da waren schon genug Touristen vor einem. Es reicht, sich einen zu schnappen und sich schnell erzählen zu lassen, wie es war. Ich liess mich auch nur deshalb dort blicken, um meinen Stadtplan zu verlieren, damit die Frage, ob ich es anschliessend noch rechtzeitig zu meinem Zug schaffe, nicht schon vorher beantwortet war. Ich habe es aber geschafft, wenn auch mit qualmenden Füssen und einem daraus resultierenden leeren Abteil. Über wurde ich während meines Aufenthaltes zum Marathonman, wie einst Dustin Hoffman, nur dass der ja dafür bezahlt wurde.

 

Camp Nou vom Barcelona ist ganz nett. Leider ist es mir nicht geglückt, mich eine Woche lang bis zum Halbfinalhinspiel der Champions-League gegen Real Madrid im Stadion zu verstecken. Auf meine Unterstützung mussten die Katalanen somit verzichten, wohl auch ein Grund, warum sie es verfuscht haben.

In Perpignan trägt der FC Barcelona selten Spiele aus, weshalb man die Jugendherbe nicht zu verlassen braucht. Mit dem Bahnhof ist ein grosser Teil der Sehenswürdigkeiten abgearbeitet, hat man das bei der Ankunft noch nicht gespürt, kann man das also beruhigt bei der Abfahrt nachholen. Ginge es nach Dali, dann hat Perpignan den schönsten Bahnhof der Welt, ginge es nach mir, dann nicht, und als Letztgeborenem muss man mir doch einen gewissen Wissensvorsprung zugestehen. Und was hat Dalí von der Welt schon gesehen. War er überhaupt schon mal in Ostkreuz oder Lichtenberg? Ich glaube nicht.

 

Feunde und Freundinnen finden: Wem geht’s nicht darum? In Perpignan ist das ganz einfach, da überhaupt keine da sind, ausser vielleicht der schnarchende Ulf, der im Aufenthaltsraum abends Fernsehen schaut und der sich sicherlich zum Halma- oder Damespielen überreden lassen hätte Aber da ich später mal mit sechzig auch nicht für irgendwelche Mitzwanziger die Notwahl sein möchte, habe ich doch darauf verzichtet, ihm mich anzutun. Man hat jedenfalls stattdessen die Möglichkeit, ohne schlechtes Gewissen früh zu Bett zu gehen und sich dort die Frage zu stellen, wozu man es im Leben eigentlich gebracht hat und warum es einem immer noch nicht gelungen ist, so ein Buch wie Fänger im Roggen zu schreiben.

 

In der Alberg Kabul verhindert die Bar in der ersten Etage die Möglichkeit des frühzeitigen Rückzugs ohne Gesichtsverlust. Gehen darf man nur zum Sex. Ich habe gegen diese Bedingung permanent verstossen, wie sich überhaupt meine Mitmenschen immer prächtig ohne mich amüsieren. Ich amüsiere mich nicht mal mit ihnen. Wenn ich so gegen halb zehn runter kam, war das Balzen schon in vollem Gange. Ich hätte früher auftauchen müssen, aber erster zu sein, war auch uncool, vor allem, hatte man niemanden dabei. Für die, die keine Freunde hatten, gab es drei Internetaccounts. Ich wollte aber nicht gucken, ob ich keine Email bekommen hatte. Und was anderes, eine zeitraubende Homepage, fiel mir leider nicht ein. Ich hatte, die Alternative, Beobachtungen in mein Notizblock zu schreiben. Manche Leute können ja Stunden beobachten. Ich hingegen zähle zu den Menschen, die nach nur wenigen Minuten alles abgehakt haben. Einmal hatte ich sogar das Glück, dass sich an den Tischen eine Lücke auftat und ich mich einfach heimlich dazu setzen konnte, ohne dass das einem auffiel. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wurde aber angesprochen. Alle sprachen hier Englisch, ausser ich. Es wimmelte nur so vor Engländern, Amerikanern, Kanandiern und Australiern. Was ich schnell rauskriegte, die Aussis werden von den anderen Anglophonen zwar nicht verstanden, haben aber den meisten Sex. Ich lernte auch schnell hinzu, was die Gesprächsführung betraf. Zunächst der Name. Anschliessend musste gefragt werden, wo der andere herkam. Die dritte Frage erkundigte sich danach, wie lange man schon in Barcelona war, dann, wann man wieder abfuhr und schliesslich, was man eigentlich in Europa zu schaffen habe. Verstand man sich bis dahin, durften persönliche Themen abgearbeitet werden wie Studium und oder der Punkt : «Have you already been in my country or maybe even in my hometown?». Damit war das Gespräch in der Regel zu Ende und man musste jemanden finden, an den man seinen Gesprächspartner weiterreichen konnte, möglichst mit dem Satz: «Hello, may I present you… ?» Mein Problem war, dass ich mir Namen meiner Gegenüber nie merken konnte und ich darum immer etwas unbegolfen wirkte: «Hello, may I present you … ahm mhm I think Candy or something like this her name, I mean she can tell it to you by herself. At least, she is from the States.»

 

Ich hatte noch zwei Joker in der Hinterhand, einen um Gespräche abzukürzen (I don’t like your country!), einen anderen, um sie zu verlängern (Do you have a boyfriend?), konnte aber nur den ersten einsetzen, da ich nie bis zu den hübschen Mädchen durchkam. So ging ich schliesslich doch so ziemlich als einer der ersten wieder rauf in mein Zimmer, um die Franzosen, die immer als erste Schlafen gingen, da sich mit ihnen niemand unterhalten, wollte mit meiner Chipkarte für den Spind zu wecken. Eins der grossen ungeklärten Geheimnisse von Alberg Kabul, warum sich der Riegel vom Spind immer erst lärmend auf- bzw. zuschob, nachdem man die Chipkarte das zehnte Mal in den Schlitz gesteckt hatte und vor allem, warum es die neun Male davor genauso laut war. Besonders lustig war es für die Franzosen sicherlich an dem Abend, als es bei mir auch nach dem zwanzigsten Versuch noch nicht klappte und ich gezwungen war, gegen 1 Uhr mal ausführlich zu fluchen, dann den Typen von der Rezeption zu informieren, der mit anderen Chip-Karten auch nicht weiter kam, ebenfalls fluchte, aber auf spanisch, und schliesslich den Werkzeugkasten holen musste.

 

Fazit des Herbergvergleichs: Auch der schönste und kürzeste Aufenthalt ist irgendwann mal rum und es geht zurück, für manche nach Pau. The Notwist waren übrigens in Paris. Die werden schon gewusst haben, warum. Das ist allerdings eine andere Geschichte, auch die, dass die Möglichkeit besteht, auf  dem Weg noch mal der Frau zu begegnen, die man auf der Hinfahrt in Toulouse angeschaut hat, um rauszukriegen, ob sie schaut. Hat man Le monde, Les Inrockuptibles und einen Wecker dabei, spricht sie einen sogar an, ungelogen. Vergewaltigt wird man von ihr trotzdem nicht, wenn man das nicht im Schilde führt. Man muss sich einfach nur als Berufspessimist ausgeben. So einfach sind manchmal die Möglichkeiten im Leben.