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Vierunddreißigste Woche
Ganz Pau
weint. Damit unterscheidet es sich nicht vom restlichen Frankreich. Der linke
Oberschenkel hat eine Verletzung, nicht der von mir, sondern der von Zizou,
der in manchen Fachblättern auch gelegentlich Zinedine Zidane genannt wird,
aber wen interessiert dieses Detail schon, so lange sämtliche französische
Medien jetzt wieder was zu berichten haben und sich nicht mit den
Parlamentswahlen beschäftigen müssen. In jeder Nachrichtensendung darf sich
nun Doktor Ferret zu Wort melden, um zu erklären, dass es sich um eine «lésion
de la partie médiane d’un des quatres muscles du quadriceps de la cuisse
gauche» handelt. Es weiss zwar niemand was damit anzufangen, aber
zumindest jeder, woran er ist. Nach eigenem Bekunden ist er bis zum zweiten
Gruppenspiel gegen Uruguay wieder fit, nach Doktor Ferret frühestens gegen Dänemark,
ich hoffe, frühestens nach der Niederlage gegen Deutschland.
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Es gibt also für
uns wieder Hoffnung, es müssen nur alle gegnerischen Spieler, die besser
sind, ausser Gefecht gesetzt werden, und wir können vielleicht doch noch
Weltmeister werden. Fussball wird seit einigen Jahren zunehmend nicht mehr
durch das bessere Spielvermögen gewonnen, sondern durch den, der geschickter
foult. Und ohne Zidane wäre wenigstens wieder so etwas wie Gerechtigkeit auf
dem Feld. Die DFB-Auswahl wird nämlich heute dafür bestraft, dass sich
Deutschland damals beim Gerangel um die Kolonien vornehm und auch bescheiden
zurückgehalten hat. Und hier in Frankreich spricht natürlich niemand von
Basti Deisler, der bis zum Finale nicht einsatzfähig ist. Und der ist
mindestens genauso gut wie Zidane, wenn nicht sogar noch schlechter, und
obgleich der einen viel schmuckeren Spitznamen hat, ignoriert man den hier
lieber, ganz nach der nicht bewiesenen Devise, wen man totschweigt, der wird
gar nicht erst geboren. Stattdessen bringt Zidanes Frau Véronique lieber noch
in Marseille ein drittes Kind zur Welt. Zidane, schon Papa von Enzo und Lucas,
darf nach dem Spiel Frankreich gegen Belgien über die Stadionanzeige verkünden:
«Je suis devenu cet après-midi papa d’un pétit et maman et le bébé
se portent bien.», anschliessend die Hauptmeldung auf allen Fernseh- und
Radiostationen. Na wenigstens etwas, wenn die Belgier schon nicht besiegt
wurden.
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Allerdings hat
der Papa nicht bekannt gegeben, wer der Namenspatron ist, Theo Waigel oder
Theo Lingen. Das Kind hat er eigentlich auch nur auf Anraten seiner
Imagberater angeschafft, damit er erst später und nicht zusammen mit der
ganzen Mannschaft nach Japan abdüsen musste. Das ergab die so geschätzte
Sonderberichterstattung: Dienstag 21. Mai 2002, 09.34, Zidane verlässt
Marseille. Dienstag, 21. Mai 2002,11.21, Zidane erreicht Paris Roissy-Charles
de Gaulle. Dienstag, 21. Mai 2002, 11.23, Zidane gibt sein erstes Autogramm,
einem gerade erst 24 gewordenen Erasmuststudenten aus Deutschland, der zur
Zeit in Pau studiert und ihm versichert, dass Frankreich sich vor Deutschland
ohne Deisler nicht zu fürchten braucht…Dienstag, 21. Mai 2002, 13.46,
Zidane fliegt ab, Flug AF 292, erste Reihe links, Fenster, liest Asterix bei
den Briten … Mittwoch 19.33, Japan, Henry ist der erste Spieler, den
Zidane begrüsst …
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Für den Rest der
Mannschaft muss das ein erhebendes Gefühl sein, zu begreifen, dass Fussball
eben doch kein Mannschaftssport ist. Ist eben doch alles nur korrupt, da lob
ich mir den Radsport oder eben die Enthusiasten. Gerade bei Letzteren herrscht
ja noch Teamgeist oder wenigstens lassen wir uns den Anmerken. Sicherlich, es
gab mal Momente, wo die Medien mehr über Jochens Stimmlippenknötchen
geschrieben haben, weil der die so geschickt in seine Texte eingebaut hat,
wegen dem Mitleidseffekt. Aber zur Strafe musste er dafür dann nach jeder
Lesung im Cube Club die Erdnüsse bezahlen, die uns eigentlich umsonst
zustanden. Und ich habe gedroht, zuküntig über meine Klumpfüsse
herzuziehen. Da hat er das dann ganz schnell sein gelassen und verfasst
seitdem nur noch Texte in russischer Sprache. Heute sind wir dicke Kumpels,
ein zusammengeschweister Klumpen Männer, die sich nicht auseinanderdividieren
lassen, weil der eine vom Privatleben des anderen lieber nichts weiss, damit
wir uns gegenseitig nicht doof finden.
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So schert es uns
einen lieben Dreck, ob Dans drittes uneheliches nicht vorhandenes Kind nun von
einer Frau abstammt oder von einem Mann. Ob Volker und Jochen nach der Lesung
gemeinsam ein Taxi nehmen oder Jochen noch zu McDonalds geht, unter dem
Vorwand, er warte auf die Strassenbahn, geht keinen was an. Von Bohni kennen
wir nicht mal das Aussehen. Wir munkeln allenfalls jeden Donnerstag wieder
aufs Neue, ob er so aussieht, wie der, der jetzt immer anstelle von Andreas
liest oder ob er das nur ist. Und ich kenne vorsorglich nicht mal mich. Petzt
einer doch mal was über sich aus, dann glauben wir anderen es ihm einfach
nicht. Was hat das ganze mit der WM zu tun, nichts, ausser vielleicht die
Befindlichkeiten. Die sind bei mir mal wieder ambivalent. Einerseits hat mir
einer Amerikanerin ein Kompliment gemacht, indem sie mir versicherte, ich sehe
jünger aus als 30. So eine Jungbrunnenattestierung war ich gar nicht mehr
gewohnt. Andererseits habe ich bei der Übersetzung des Textes über die
Rettung der Torflandschaften in Niedersachsen nur 8,5 von 20 Punkten. Zu
Beginn des Semesters lag ich noch bei 14 Punkten. Die Tendenz ist eindeutig.
Meine Dozentin sagt mir trotzdem nach jeder Übersetzung, dass ich mich
verbessert habe. Ich stelle mir ja schon so meine Fragen. Wenn man mit zwei Wörterbüchern
und beliebig viel Zeit für einen Torftext 8,5 Punkte bekommt, wieviel
errreicht man dann ohne Wörterbücher in sehr wenig Zeit bei einem Text über
zum Beispiel die verschiedenen Farne in den Anden. Sind die 10 fürs Bestehen
realistisch. Ich kann wohl nur darauf hoffen, dass zufällig ein Artikel
genommen wird, den wir schon mal übersetzt haben. Mit irgendwas muss man
seinen Eltern ja belegen, dass das Auslandsjahr nicht umsonst war. Für mich
war es zumindest lehrreich. Ich habe einiges über den Spanier gelernt, der
mich immer vom Schreiben des Erasmustagebuchs ablenkt, indem er sich im
Internet Bilder mit Penisverstümmelungen anschaut, was sicherlich für einen
Mann kein angenehmer Anblick ist, aber dennoch fesselt, da man so quasi seiner
mentalen Schmerzgrenze nahe kommt. Und ausserdem muss ich wegen meines
Auslandjahres jetzt für drei Wochen raus aus Frankreich nach Marokko unter
anderem. Ich weiss aber nicht, ob es dort auch Computer gibt. Darum ist es die
nächsten drei Wochen still. Meine Rückkehr wird zeigen, ob ich zurückgekommen
bin nach Pau. Ich habe nicht mal eine Isomatte.
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