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Siebenunddreißigste Woche

«Calme-toi, Philippe. N’y a pas de raison de jouer le fou.» «Arrête de m’emmerder! C’est qui le fou?» Warum liess er sich das eigentlich noch gefallen? Er hatte doch genau gesehen, dass J.P. beim Wurf mit seinen Füssen den Kreis berührt hat. Waren die andern blind oder was? «Et toi, t’as vu quoi? Rien? T’as pas vu comment ses pieds ont mordu sur le cercle?» «Non. Je sais pas.» «Tu sais pas quoi? T’es ma femme ou quoi, ça tu sais?» Wozu nahm er seine Alte eigentlich mit zum Spiel? Ärgerte sich ja doch nur. Die ganzen Partien, die er wegen ihr verloren hatte. Hatte längst aufgehört zu zählen. Und wenn sie mal für einen Partei ergreifen sollte... Nicht mal dazu war sie gut. Hing immer alles an ihm. Eigentlich müsste er Punkte gutgeschrieben bekommen. Schliesslich spielte er mit einer Frau. Das sollte Charles mal ausprobieren. Aber nee, darauf wollte er sich natürlich nicht einlassen. Ja! Geschieht ihm recht, dieser Patzer. Dieser Angeber, mit seinem ständigem Rumgeputze an seinen Kugeln und dem Magneten an der Schnur, damit er sich zum Aufheben nicht Bücken musste. Als wenn davon was abhinge. Er sollte mal lieber richtig spielen. «Bon, chérie. Ce n’est pas difficile. Vas-y! …Oui, c’est bon. Presque parfait. T’es mon chouchou.» Vielleicht gewannen sie doch noch. 12 für Charles und J.P., sowie 9 für ihn und seine Frau. Mit ein bisschen Glück. Wenn sie diesmal vier Punkte machte, haa, Mist, so nah rangesetzt, aber egal. War natürlich schwer, die Kugel da jetzt wegzuschiessen, ohne dass die eigene, aber gut, mal sehen … war schwer, aber trotzdem…ja, ja: «Vous avez vu? C’était pratiquement un carreau. Vous avez vu?»  «Oui, on a vu, mais c’est pas fini.» «Mais bien débuté.» In dieser Runde stand’s bisher 2:0. Sah gar nicht so schlecht aus. Hoffentlich versaute es seine Frau nicht … J.P. würde ihm das jedenfalls bestimmt nicht nachmachen, im Schiessen war der ihm eindeutig unterlegen … der haute ja höchstens alle Kugeln weg, auch die eigenen. Hatte nur Glück, dass diesmal noch keine davon in der Nähe lagen. Na, hatte er’s doch gleich gewusst … was? Die soll näher dran sein. Das gab’s doch nicht. «Non, c’est pas vrai. Voyez. Votre est plus loin. Vous êtes aveugles?! … Marianne! Prends la ficelle!» … «Putain. C’est pas vrai. Je me suis trompé?» «On t’a dit ça tout de suite. Peut-être c’est toi qui ne voit pas bien.» «Va te faire foutre. T’es jamais trompé?» «Oui, mais moi, je ne gueule pas tout le temps.» «Moi non plus. Alors Marianne. On va lui montrer qui est le plus fort.» Was der sich eigentlich einbildete, von wegen, er motze die ganze Zeit, auch nicht mehr als die andern. Er solle mal lieber den Mund halten und sich erinnern, was er für ein Theater veranstalte, wenn er zurückliege. Nicht auszuhalten sei das. Charles war in solchen Situationen der reinste Meckerkopf, ja das war der … da suchte er die Schuld immer bei andern, sofern es nur möglich war … Mann, was machte die denn? Ging das nicht noch weiter weg? «Fais des efforts. Alors une deuxième. Une portée … mais qu’est-ce que tu fous. Connasse! Tu veux qu’on perd?» «Le sol n’était pas plan.» «Arrête! Je t’ai dis, une portée. Et qu’est ce que tu fais? C’était presque une roulette. Tu veux qu’on perd, tu veux ça? Tu es nulle… » «Philippe, arrête d’engueuler ta femme! C’est seulement un jeu.» Was musste sich jetzt J.P. schon wieder einmischen. Er musste ja nicht mit ihr in einem Team sein. Er wollte ihn mal sehen, wenn sein Partner den Sieg vergeigt: «D’accord, la prochaine fois, c’est toi qui joue avec elle. On en rediscutera  après.» Das würde er dann schon sehen, wie das war. Wie sollte er sich so konzentrieren? Spiel hin, Spiel her, sollte einem deswegen der Ausgang egal sein? Da brauchte man sich gar keine Mühe zu geben. Wenn man sich keine Mühe zu geben brauchte, brauchte man auch nicht zu spielen. So einfach war das. War schon schlimm genug, dass Frankreich in der Vorrunde ausgeschieden war, da musste er sich nicht auch noch hier rumärgern. Ihm sollte keiner sagen, man spiele nur der Freude wegen, so ein Schwachsinn, man spielte, damit’s im Leben wenigstens etwas zu gewinnen gab, so einfach war das … ja, zum Glück gab es noch ihn und nicht nur seine Frau, sonst wäre der Ausgang schon vorher entschieden, wollen mal sehen, wie die auf so einen Meisterwurf reagieren, klack und die Kugeln waren weg. Er sollte wirklich endlich einen vernünftigen Partner finden, damit das mit den Turnieren noch was wurde, vielleicht nicht französischer Meister, aber bis zu den regionalen Meisterschaften würden sie es sicherlich schaffen, die würden dann schon dumm gucken, Charles und J.P. und überhaupt, dass der jetzt schon wieder an seiner Kugel putzte: «Ca sert à quoi ça, tu penses que tu va jeter mieux?!» «Ferme ta gueule!»  Typisch, wenn ihm keine Antwort einfiel Zeichen von Nervosität, klar, keine Frage, Zeichen von Nervosität, wenn das kein gutes Zeichen war, ja das war es, und wie er mit den Knien wippte, als wenn das was änderte… ja … «Tu peux pas faire mieux, t’as vu, raté …» …nur noch einen und dann hatte er den Sieg wieder in der Hand, nur noch einen verhauen, und dann war wieder alles drin, dann war wieder alles drin, so, verhau’s, verhau’s … «Ah, ça marche pas, pas en forme aujourd’hui, qu’est-ce qui ce passe t’a pas bien dormi, Charles?»… Jetzt guckt er blöd, habe ich’s doch gleich gesagt, kaum läuft’s nicht so, zieht er eine Fresse, aber mich kritisieren, mir vorhalten, ich würde mich wegen jeder Kleinigkeit aufregen, na und, selbst wenn, ich spiele wenigstens nicht den falschen Hund, der so tut, als wenn und überhaupt, ich meine, wer weiss, was die denken oder sogar reden, wenn ich mal nicht hinhöre, das will ich lieber gar nicht wissen, ich sag’s aber wenigstens, und dann wird mir vorgehalten … Scheisse! J.P., das wird nicht einfach, das wird nicht einfach, schaffe ich aber, auch nicht schwerer als vorhin, vielleicht ein bisschen, aber egal, so, erst mal Kugel putzen, ja da guckt ihr doof, als wenn ich solche Spielchen nicht auch kann, ja … so … nur noch abwarten … «Mais vas-y Philippe! Qu’est-ce que tu attends?» «Il ya du vent.» «Il n’y a pas de vent.» «Mais oui.» «Vas-y, ce n’est pas une raison.» …von wegen kein Grund, vielleicht kein offizieller, aber bei so einem Wurf … und was machte eigentlich der Typ dort, der dort sass mit seinen komischen Hosen und seinem Ziegenbart, war der der aus den 70ern geflohen oder was, warum guckte der immer her, der sass dort sonst nicht da rum, wollte er einen ablenken, oder was … «Dépêche-toi, Philippe!» «Je peux pas me concentrer. Vous voyez le mec-là. Il me mate. Ca m’énnerve.» «Il ne te mate pas. Hallucine pas.» «Mais oui, il ne peut pas regarder ailleurs?»  «Mais tout le monde a le droit de regarder où il veut.» «Oui, mais ça m’énnerve.» «Mais toi, tu nous énnerves aussi.» «Quoi, ce ça les copains? ….» «Joue!» Von wegen Freunde, fielen einem dauernd in den Rücken, von wegen Freunde, nein, das waren keine, denen würde er es zeigen, das letzte Mal war das, dass er mit ihnen spielte, das letzte Mal, da waren ihm die fünfundzwanzig Jahre auch egal, das letzte Mal, die sollten mal sehen, wie er darauf antwortete, genau ransetzen würde er seine Kugel und dann sollte J.P. das ruhig noch einmal versuchen, nochmal wegschiessen, das bekäme er nicht noch mal hin, so hier … «Merde!» Mist! Verdammt noch mal … das musste ein Stein sein, ein Stein, wie sonst, das passierte ihm ja sonst nie, dass die so wegsprang, kein Wunder, ein Stein. Scheisse. Alles pfutsch. Nur wegen dem Stein… «C’était un petit caillou. C’est sûr.» «Oui c’est sûr.» «Je peux vous le montrer. Vous savez, généralement, je ne rate pas une telle tire. Je peux vous le montrer.» «Tu peux nous le montrer après la mène.» Von wegen nach der Runde, hättest auch gleich nach dem Spiel sagen können. Als wenn es noch eine nächste gäbe. War er je so überheblich, nee war er nicht, sollte er vielleicht mal werden, damit der merkt, wie das ist, aber das merkt der wahrscheinlich nicht mal, wenn man es ihm zeigt, der alte Sack, dass der überhaupt die Kugeln halten konnte, so krumm, wie der schon lief … Mist! So wie die hinfiel und liegenblieb, die war gefälscht, eindeutig … «Mais bon, cette fois, vous avez gagné. Mais tu peux me laisser tes boules jusqu’à mardi, J.P..» «Pourquoi? Tu veux encore une fois tester, si elles sont truquées?» «Oui, on ne sais jamais.» «Va te faire foutre Philippe.» «Ah c’est ça, parce que tu as peur.» «Tu es fou, Philippe. Chaque fois tu perds, tu veux vérifier, si nos boules sont truquées ou pas. Tu trouves ça pas un peu ridicule?» «Mais bon, écoute si tu participes a des tournois, tu peux pas jouer avec des boules truquées.» «Arrête de nous parler de tes tournois! Vas-y, si tu veux.» «Oui, je vais le faire. Il me faut seulement un bon partenaire.» «Oui, mais c’est qui, qui va jouer avec un fou comme toi? » «Moi un fou, pourquoi?» «C’est qui, qui a lancé ses boules sur sa femme. Raconte moi!» «Enculé, tu sais bien, que je voulais pas la toucher. Dis leur Marianne, je ne voulais pas te toucher….pourquoi tu ne le leur dis pas. Putain, c’est la dernière fois que je joue avec vous, vous allez voir.» «Oui, oui, on voit depuis dix ans.» Diesmal würde er es wirklich wahr machen, das war das letzte Mal, dass er mit denen gespielt hatte, auf solche Freunde konnte er auch verzichten, das waren keine Freunde, nein, das waren sie nicht, und von wegen, er hatte die Kugeln nach seiner Frau geworfen, von wegen, sie wussten alle ganz genau, dass er sie nur hatte erschrecken wollen. Absichtlich hatte er an ihr vorbeigeworfen und dann letztendlich auch nur gestreift, gestreift war das mehr nicht, und das auch nur, weil die Angstliese in die falsche Richtung ausgewichen war, wäre sie stehen geblieben, wäre nichts passiert. Was hatte das damals für ein Theater gegeben. Dabei hatte er sie nur gestreift und hatte es ja wirklich nicht gewollt, nein, das hatte er nicht, das glaubte ihm ja keiner, er hatte ja nun wirklich nichts gegen seine Frau, auch wenn sie schlecht Pétanque spielte, aber sonst war sie ja ganz o.k ., da würde er doch nicht absichtlich die Kugeln auf sie Schmeissen, er war doch kein Irrer, nein, das war er nicht … «Quoi? … Non, je ne vais pas aller avec vous au Bar du Loup. …Non, je ne vais pas encore rentrer à la maison, plus tard, je vais encore m’entrainer un peu.» … Nein, diesmal würde er nicht noch einen Trinken gehen, sollten sie das doch alleine tun, selber schuld, lieber noch ein bisschen üben hier, da hatte er mehr von, ja, das hatte er, da hatte er mehr von und beim nächsten Mal würde er dann zur Not halt allein gegen Charles und J.P. spielen, das würde er, darauf konnten sie Gift nehmen, oder mit einem anderen Partner, nur einen finden, dass war natürlich wirklich nicht einfach, richtig, spielten ja alle schon seit Jahren in festen Teams, das liess sich nicht so einfach ändern, ausser, wenn mal einer starb …von wegen, er hätte die Kugeln mit Absicht auf sie geworfen, Schwachsinn war das, ja Quatsch, das wussten sie selber, darum zogen sie ihn auch immer wieder damit auf, das machten sie bestimmt nur, um ihn zu ärgern, das taten sie ja ganz gerne mal, ja so waren sie … der sass ja immer noch da, tat so, als gucke er nicht, dabei guckte der, eindeutig, keine Frage. Der war bestimmt nicht von hier, so wie der aussah, die Hosen und der Bart, nee, bestimmt Ausländer. Mal sehen, mal fragen, was der hier wollte … «Bonjour. Vous êtes d’ici?» «Non, je suis d’Allemagne.» «Un boche! Et vous faites quoi ici?» «Rien. Je veux seulement un peu observer les gens jouer à la pétanque.» «Pourquoi? Ca n’existe pas chez vous?» «On a aussi des jeux de boules, mais il y très peu de gens qui le jouent.» «Mais vous en Allemagne, vous jouez quoi?» «Bonne question, je ne sais pas.» «Vous êtes des branleurs?» «Je ne dirais pas ca, peut-être on joue aux cartes.» «Ca existe aussi ici.» «Bon.» «Bon … » « …moi je ne sais pas comment on joue ça.» «Quoi? La pétanque?» «Oui.» «Je peux vous montrer.» «Merci.» «Si vous apprenez vite, on peut jouer régulièrement ensemble, puisque je suis en train de chercher un partenaire.» «Mais je rentre en Allemagne dans deux semaines.» «Ah oui, c’est dommage. Mais bon, venez! Je vais vous montrer.»