Zurück zu Stephan
Achte Woche
Die paloiser WHO-Gegner frieren vor dem Complexe
de la République, diesem wuchtigen Gebaeude, dessen Hallen
mehrmals die Woche vom paloiser Lebensmittelmarkt bevoelkert werden.
Alle sind sie gekommen, die sich in Pau als aktiv links verstehen,
oder die Beschluesse auf der WHO-Konferenz in Quatar fuerchten :
hundert sind es bestimmt, vielleicht auch 150, die sich auch von der
Kaelte nicht haben abschrecken lassen. Die Jungs von Attack 64-Pau
sieht man, obwohl Jungs nicht der passende Begriff ist, eher aeltere
Herren. Aber aeltere Herren klingt zu undynamisch und gestrig fuer
eine Organisation, die es erst seit kurzem gibt. Darum nennen sie sich
bewusst nous mecs, das riecht schon eher nach einer Bewegung. |
Ein Greenpaece-Mitglied schwenkt
seine Fahne. Die Studentenassoziationen haben auch ein paar Vertreter
entsandt, um das Durchschnittsalter der Demo-Teilnehmer auf 45 zu
druecken. Die uebrigen offiziellen Ausrichter halten sich dezent im
Hintergrund, verstecken sich oder sind vielleicht gar nicht
erschienen. Es traut sich aber auch keiner mal zu fragen. Dafuer ist
Gerard gekommen: nicht dass er besonders auf Demonstrationen abfuehre,
aber auf Demos verdient er sich immer etwas Geld, indem er Sandwichs
verkauft, die er in einem kleinen Bauchladen mit sich rumtraegt. Er
ist laengst ein vertrauter Gast, man kennt ihn mittlerweile und er
kennt die meisten Demoteilnehmer beim Namen. Er macht das schliesslich
schon seit Jahren und es sind ja doch so ziemlich jedes Mal die
gleichen Leute, die auf die Strasse gehen. |
Zu Beginn ist er immer ziemlich weit
vorne vom Demonstrationszug gelaufen, bei den Aktivisten. Aber damals
lief das Geschaeft nicht so gut. Die muessen ihre Transparente tragen
und Slogans rufen. Fuer Sandwichs bleibt da keine Zeit. Die musste man
eher vor der Demo oder danach abfangen. Ganz hinten war auch nicht so
guenstig. Dort laufen die Nachzuegler, die sich die Schuhe zugebunden
haben und Angst haben, den Anschluss zu verpassen. Am besten waren
immer die in der Mitte, allderdings war bei Demos in Pau die Mitte in
der Regel sehr schmal. |
Wie ueblich hatte sich auch Paul
eingefunden, dem die WHO eigentlich nicht so wichtig war. Aber er
mochte Demos schon seit seiner Schulzeit, weil man da immer huebsche
Maedchen traf. Frueher war er sogar fuer Demos nach Paris gefahren.
Ein Freund von ihm hatte auf einer Demo mal seine zukuenftige Freundin
kennengelernt. Insgeheim hoffte Paul immer noch darauf, dass ihm so
was auch endlich widerfuehre. Aber das Angebot wurde fuer ihn ja auch
zusehends mau. Die ganzen huebschen Maedchen von frueher
demonstrierten nicht mehr, weil sie schon einen Freund gefunden
hatten. Die Frauen, die er jetzt traf, entsprachen leider viel zu
selten seinen Vorstellungen. Und er konnte sich mit seinen fast
vierzig ja auch nicht mehr einfach auf irgendwelchen Schuelerdemos
blicken lassen, ohne schief angeguckt zu werden. |
Dieses Problem hatte Stephan aus
Berlin in Deutschland nicht. Er war erst 23 und sah noch immer sehr
jugendlich aus (sah man mal von seinen sich bedrohlich
voranarbeitenden Geheimratsecken ab) und trotz seiner Brille war er
ein huebscher junger Mann. Das betonte zumindest seine Oma jedes Mal,
wenn er sie besuchte. Er studierte gerade fuer zehn Monate in Pau und
bevor er in seiner Wohnheimszelle weiterhin auf den Tenniscourt, auf
dem ausser Laub nichts lebewesenaehnliches war, blickte und aus
Langeweile - die franzoesischen Studenten waren uebers Wochenende zu
ihren Eltern gefahren, die arabischen Wohnheimsbesucher beteten, die
arabischen Franzosen schliefen sich noch fuer die Disko aus und mit
den Erasmusstudenten wollte er nichts zu tun haben - und Aerger ueber
das Radioprogramm weiterhin an seinen Fingernaegeln knabberte, konnte
er auch hier kommen. |
Auch Stephan hat natuerlich nichts
gegen huebsche Maedchen. Aber wichtiger ist ihm noch, am Montag in La
République des Pyrenées zu sein. Das gute war ja, dass in Pau so
wenig passierte, dass selbst Demos mit weniger als 200 Leuten
ausfuerlich in den Regionalzeitungen erwaehnt werden. Und wenn das mit
einem Photo sein sollte, dann sprach die Wahrscheinlichkeit dafuer,
dass er mit auf dem Photo sein wuerde. Er durfte sich halt nur nicht
zu weit vom Tross entfernen, dann war das quasi unmoeglich, nicht mit
drauf zu sein. Selbstverstaendlich identifizierte er sich auch mit dem
Anliegen. Er hatte schon darauf geachtet, dass es sich nicht um ein
Demo der Front National handelte.
Aber das Wetter behagte ihm nicht. Nun war er
schon extra in den Sueden Frankreichs gegangen und dann hatte er es
trotzdem mit winterlichen Temperaturen zu tun. Na wenigstens schien
die Sonne. Obwohl es trotzdem mal wieder zeigte, wie ungleich der
Wohlstand in der Welt verteilt war: die Politiker sonnten sich jetzt
im warmen Quatar und das einfache Volk musste mit dem Wetter Vorlieb
nehmen, das es bei sich vor Ort antraf. Es ist schon 16. 30 Uhr, um 16
Uhr war der offizielle Beginn. Neben der Kaelte macht sich Unruhe
breit. Die erste Leute rufen : « Nous voulons commencer ! »
Aufkleber werden verteilt (NON RENTABLE! Organisation Mondiale de
la Connerie), Flublaetter werden ausgetauscht, so vergeht die Zeit
schneller. Sehr beliebt ist das Thesenpapier, das die Veranstalter
gemeinsam erstellt haben, da stehen Zeit und Ort der Veranstaltung
drauf, die von der WHO verschuldeten Uebel und alle Forderungen. Wenn
man diesen Zettel hat, geraet man nicht in Erklaerungsnot, wenn man
gefragt wird, warum man genau demonstriert. Besonders Stephan ist
dafuer sehr dankbar. Ausserdem stehn da auch die Parolen drauf, die
man dann nachher, wenn der Demonstrationszug sich in Bewegung gesetzt
hat, mitsingen kann. |
Natuerlich gibt es auch unter diesen
Flugblaettern eine genau berechnete Hierarchie : am begehrtesten sind
die gelben, danach kommen die blauen, dann die lilalen und als letztes
die weissen. Die gehen aber immer noch besser weg als die gelben,
Geldscheinen nachempfundenen Handzettel, die eine aeltere Frau von der
Gewerkschaft CGT an den Mann zu bringen versucht. Auf denen sieht man
im Vordergrund einen fetten Mann, der das Kapital symbolisieren soll
und im Hintergrund versinkt ein Schiff, das fuer den armen Teil der
Menschheit steht. Der dicke Mann kommentiert die Situation mit den
folgenden Worten : Les profits sont pour nous/ Les problèmes sont
pour vous. Der Kurs weisse Thesenpapiere gegen gelbe Geldscheine
steht bei 10 zu 1. Will sie ein Geldschein loswerden, muss sie im
Gegenzug zehn weisse Thesenpapiere nehmen. Sie kann sie aber auch bei
Gérard loswerden, der sich bereit erklaert, pro Sandwich das sie beim
ihm kauft, ihr fuenf abzunehmen. Die Flyer des mouvement des jeunes
socialistes sind bei den juengeren sehr beliebt, weil auf der
Vorderseite ein Photo ist, das die Uebergriffe der Polizei in Genua
zeigt. Den meisten aelteren ist das zu tendenzioes, ebenso ein
Flugblatt das zu einer Demo gegen den Krieg in Afghanistan im
allgemeinen und die Beteiligung Frankreichs daran im besonderen
aufruft. |
Ziel des Tauschens ist es, am Ende
ohne Flugblaetter dazustehn. Weil die Demo, nachdem alle Flugblaetter
ausgeteilt worden sind, immer noch nicht angefangen sind, tauschen die
Leute sie einfach wieder zurueck. Auch Stephan wird in dieses Spiel
miteinbezogen : «Mais non! », hat er sich zum Anfang gewehrt.
« Je suis allemand. Je ne comprends pas la Régle du Jeu!»
Aber diese Entschuldigung wird von den anderen nicht akzeptiert,
besonders von der aelteren Frau nicht, die froh ist, ihre gelben
Geldscheine doch noch loszuwerden : « Ca nous concerne tous.
» Stephan hat jedenfalls nach jeder Runde mehr Flugblaetter als zu
Beginn und ist froh, als sich der Demonstrationszug um 17 Uhr endlich
in Bewegung setzt. Dann kann er sie wenigstens an die Passanten und
Schaulustigen verteilen. |
Der ganze Tross hat gemuetliches
Spaziertempo, damit auch die Teilnehmer mit Gehbeschwerden nicht
abgehaengt werden. Man bummelt gemaechlich ertsmal Richtung
Norden, um dann nach Westen in die Rue Pasteur abzubiegen. Vorne
tragen Attack-Leute ein Transparent, das sich ueber die gesamte Breite
des Demonstrationszuges spannt : le monde n'est pas une
marchandise!! pour une mondialisation solidaire et démocratique!!
Die Leute in den ersten Reihen beginnen Slogans zu rufen, die
wegen unguenstiger Windverhaeltnisse und dem Fehlen eines Megafons
nicht bis zu den weiter hinten laufenden durchdringen. Gérard wird
von den Mitgliedern der Confédération paysanne Béarn aufgefordert,
mal nach vorne zu gehen, um zu hoeren, was die von Attack und
den jungen Kommunisten da rufen. « D'abord, vous devez acheter des
Sandwichs. » « Non, Gérard. Nous n'avons pas faim. Peut-être
plus tard. » Schmollend zieht er sich noch weiter zurueck. |
In der Rue Montpeillier entschliessen
sich dann einfach einige der Hinteren ihre eigenen Slogans zu bruellen
: la santé pour tous!! préservation du secteur publique!! Einige
baskische Nationalisten fordern : L'autonomie pour le pays basque!!
Zahlreiche draengen daraufhin aus Protest weiter nach vorne, was
die ganze Symmetrie des Demonstrationszug durcheinanderbringt. Vorne
alle und die Mitte und der hintere Teil besteht aus ungefaehr
zwanzig Basken, fuenf Sympathisanten, Stephan und Gérard. Gérard
geht bald, weil die Basken auf baskische Sandwichs bestehen, Gérard
aber nur welche aus dem Béarn hat. Paul ist ebenfalls schon gegangen,
nachdem er sich alle weiblichen Teilnehmer genau angeschaut hatte.
Ausserdem wurde ihm dann doch zu kalt. Stephan bleibt nur unter den
Basken, weil er hofft, so auf dem Photo in der Zeitung besser zu
erkennen zu sein. Er wuerde ja auch ganz gerne was rufen. Er kennt
sogar noch einen Spruch von frueher : "Leute lasst das klotzen
sein, auf die Strasse reiht Euch ein." Vielleicht koennte er ja
so die Zahl der Teilnehmer erhoehen. Aber ob die Leute sich dadurch
zum mitlaufen annimieren liessen? Die verstanden bestimmt gar kein
Deutsch und auf Franzoesisch wollte er das auch nicht rufen, er war
sich nicht sicher, ob er das fehlerfrei wuerde uebersetzen koennen. |
Nach der Place de la Liberation geht's
in die Rue Paul et Henrie Courteault, eine enge, um diese Zeit
stark bevoelkerte Einkaufspassage. Der Demonstrationszug streckt sich
wieder, auch weil keiner auf dem Buergersteig laufen will, wo die
Hundkacke liegt. Hundekacke ist ja neben Henri IV das
wichtigste Wahrzeichen Paus. Pau sticht, was die Dichte und
Verbreitung von Hundehaufen betrifft jede Stadt der Welt aus. Dass der
Demonstrationszug jetzt bestimmt 50 Meter lang ist, erschwert
natuerlich fuer die weiter hinten, also Stephan in erster Hinsicht,
ihre Flugblaetter zu verteilen, da alle Passanten schon von den
vorderen Reihen versorgt wurden. Das sorgt fuer Unmut im hinteren
Teil, der durchgeben läßt, auch mal nach vorne zu wollen, was von
Vorne zurueckgewiesen wird. |
Not macht bekanntlich erfinderisch,
weshalb die Leute beginnen, die Passanten, ueberwiegend verschreckte
alte Frauen, die sich in die teuren Boutiquen fluechten, weil
natuerlich jede Demo erstmal eine Gefahr darstellt, bis dorthin zu
verfolgen, um ihnen dort die Flugblaetter aufzuzwingen. «Mais non
je veux pas ce tract! » « Mais oui, je vous ordonne de le
prendre. Même si ça ne vous concerne personellement, car vous allez
mourir bientôt, c'est obligatoire. Lisez-le pour vos petits-enfants.
» Denjenigen, die gar nicht hoeren wollten, werden die Flugblaetter
einfach in die Taschen und Beutel gestopft. Alles in allem ist diese
Laedenbegehung aber eher von Nachteil fuer die Demo bedeutet sie doch
einen Aderlass, da ein Teil der Flugblattverteiler gleich drin bleibt,
erstens weil es in den Geschaeften waermer als draussen ist und
zweitens, weil einige sich dafuer entschieden haben, dass es nur von
Vorteil sein kann, wenn man mit den Weihnachtseinkaeufen schon im
November beginnt. |
Ein weiterer Schlag wird der Demo
durch Quick versetzt, des franzoesischen McDonalds, wo einigen
jungen Kommunisten und ein paar Abgesandten von der Confédération
paysanne Béarn ihr Hunger wieder einfaellt. Der Vertreter der
regionalen Parteifuehrung der Kommunistischen Partei fordert sie zwar
auf, nicht bei einer Fastfood-Kette zu essen, das widerspreche den
Zielen der Demonstranten, aber die Abweichler rechtfertigen sich
damit, das sei ja kein amerikanisches Unternehmen sondern ein
franzoesisches, womit man den einheimischen Arbeitern helfe. Sichtlich
ausgeduennt erreicht die Demo schliesslich die Place Georges
Clemenceau, wo sie vor der Praefektur halt macht. Der Mann mit dem
Megafon ist inzwischen auch eingetroffen. Der Attack-Vertreter
bedankt sich bei allen, die gekommen sind und vor allem bei allen, die
bis zum Schluss ausgeharrt haben und bittet die Leute, noch kurz zu
bleiben. Er spreche auch nur ganz kurz. Dann liest er das Flugblatt
vor, zwischendurch setzt er immer wieder Pausen, um die Leute zu einer
spontanen Unmutsreaktion zu bewegen, was sich aber als sehr schwierig
herausstellt, da die Leute an vielen Stellen nicht wissen, ob sie
buhen oder ihrer Unterstuetzung durch Jubel Ausdruck verleihen sollen.
Darum herrscht dann erst einen kurzen Moment Stille, bis sich der
erste entschieden hat, zu jubeln oder zu buhen. Die anderen machen
dann einfach mit. |
Da stellt sich der Sprecher von der Parti
Communiste besser an. Nachdem er sich bei allen Teilnehmern
bedankt hat, besonders bei den jungen Kommunisten, die nicht zu Quick
gegangen sind, und die Leute gebeten hat, noch kurz zu bleiben, er
mache auch nicht lange, liest auch er das gleiche Flugblatt vor. Man
merkt ihm im Gegensatz zu dem Attack-Sprecher an, das er durch
die jahrelange Parteiarbeit geuebt darin ist, politische Reden zu
halten (er setzt die Pausen an der richtigen Stelle, hat das richtige
Tempo, den richtigen Rhythmus und die richtige Intonation), waehrend
ja Attack noch ein sehr junger Verband ist und somit die
Politrhetorik noch nicht so lange ueben konnte. Ferner haben die noch
verbliebenen Demonstranten mittlerweile begriffen, dass man zu buhen
hat, wenn was ueber die OMC, ueber Politiker oder die Wirtschaft
gesagt wird, und zu jubeln, wenn die eigenen Forderungen vorgelesen
werden. Nur wenn die Armut der Menschen in der dritten Welt oder die
Umweltzerstoerung beschrieben wird, ist es immer noch nicht so
eindeutig : manche schweigen betreten, andere rufen « Oooh
! » |
Nachdem er geendet hat, schaut sich
der Mann von der PC fragend um : Est-ce qu'il y a quelqu'un qui
veut encore dire quelque chose? » Es meldet sich niemand, auch,
weil die Bitte, noch kurz zu bleiben, man mache auch nicht lange,
zunehmend auf weniger Gehoer stoesst. Stephan haette eigentlich Lust,
zu den Forderungen koennte er allerdings nur ergaenzen : « Oui !
Vous-avez raison. Je vous soutiens. Vous-savez, en Allemagne la
mondialisation n'est pas bonne non plus. » Er wuerde ihnen auch
ganz gerne empfehlen, waehrend der Demo ein bisschen Musik zu bringen,
ein paar Sachen, die die Stimmung anheizen und ein bisschen mehr
Action provozieren, wie Rage against the machine. Das klappte
ja auf den 1.Mai-Demos auch. Aber er traut sich dann doch nicht. Der
Musikgeschmack der Paloiser war eh ein bisschen komisch, und der
PC-Mann hat die Demo mittlerweile fuer bendet erklaert . Das
Menschenknaeuel loest sich langsam auf, die letzen Flugblaetter werden
an die umstehenden Polizisten verteilt oder wandern in die Muelleimer,
das heisst in den Muelleimer, denn in Pau gibt es quasi nur einen, den
vor der Praefektur. Stephan und die anderen Teilnehmer gehen nach
Hause. Immerhin, was gemacht heute. Heute abend ist kein Fussball. |
|
|