Zurück zu Stephan
Neunte Woche
Der Kampf gegen den Terrorismus und gegen menschenrechtsverachtende Regimes
war nicht nur eine Makrofrage. Auch das Studentenwohnheim Cité
Universitaire Corisande d'Andoins lag im Würgegriff religiösen
Fanatismus. Nicht alle hatten darunter gleichermassen zu leiden, aber
verborgen blieb keinem, dass die Sarah, deren Oma afghanische Vorfahren hatte,
von den arabischen Kommilitonen aus der ersten Etage immer sehr herablassend
behandelt wurde. So durfte sie zum Beispiel immer erst in die Küche, wenn
diese aufgegessen hatten, was, wie bei Arabern üblich, schon mal sehr spät
werden konnte. Dabei hatte Sarah am nächsten Tag immer um 8 ihren ersten
Kurs, während die erst gegen mittag Veranstaltungen besuchten. Oft
verzichtete sie deshalb darauf, sich abends was zu essen zu machen und würgte
sich nur den Rest vom trockenen Baguette runter, welches sie sich am Morgen
gekauft hatte. Sie durfte um 20 Uhr auch nie Popstars gucken, weil die Araber
immer die Fernbedienung reserviert hatten, um auf TF 1 die Nachrichten
anzuschauen.
|
Auch für den Usbeken Djamolin war der Wohnheimsalltag oft genug kein
Zuckerschlecken. An sich verstand er sich mit den Arabern ganz gut, Rachid war
zum Beispiel ganz nett, auch Joseph und Medi, aber Karim machte immer Witze über
die Usbeken und die Norallianz, wenn im Fernsehen Bilder von Afghanistan
gezeigt wurden. Die anderen lachten dann immer mit und meinten, die Taliban
seien eben stärker als die Nordallianz, wie überhaupt Usbeken Schwächlinge
seien. Das stimmte natürlich nicht, aber er war nun mal in der Unterzahl. Was
sollte er da machen? Das ging nun schon seit zwei Semestern so. Darum freute
er sich auch insgeheim, als die Amerikaner Afghanistan bombardierten, das
geschah ihnen recht. Nach aussen hin verhielt hin zeigte er das aber nicht,
schliesslich wollte er es sich nicht vorschnell mit ihnen verderben. Sie waren
gegen die Amerikaner, denen sie die Attentate in New York und Washington gönnten.
Gut, er war auch immer gegen Amerika gewesen, die für das Elend vieler
Moslems verantwortlich waren, aber die Taliban in Afghanistan waren keine
guten Moslems. Rachid, Joseph und Karim hatten das immer nicht einsehen
wollen. |
Und es gab ja auch gute Amerikaner, wie John zum Beispiel, der in der dritten
Etage wohnte. Der war auch seit einem Jahr hier. Bisher hatte er nie was dazu
gesagt, dass Sarah herablassend behandelt wurde und auch, dass Karim und
seine Freunde über Djamolin ablästerten, hatte er geflissentlich übersehen,
ja gelegentlich sogar mitgelästert. Aber Johns Fass lief über, als Karim auch
Tracy, eine amerikanische Austauschstudentin, und Aurelie aus der Küche
verbannen wollte und obendrein noch frauenfeindliche Witze machten. Da hat er
sich kurz mit seinen Kumpels Michael und Richard aus GB sowie Pierre und
Yann aus Frankreich beraten. Die haben ihm dann gleich zugestimmt, dass man
was dagegen unternehmen müsse, zumal Pierre und Yann eh noch eine Rechnung
mit den Arabern offen hatten, seitdem bei dem Fussballspiel
Frankreich-Algerien algerische Fussballfans den Rasen gestürmt und für den
Spielabbruch gesorgt hatten. |
Er hat Karim und dessen Freunden dann ein
Ultimatum gestellt, sie sollen sich innerhalb von zwei Tagen bei den Mädchen
entschuldigen. Als sie das nicht gemacht haben, ist er mit Michael und Richard
zu ihnen gegangen und hat sie vermöbelt, er konnte nämlich Kampfsport.
Pierre und Yann haben ihm den Rücken freigehalten. Er hat den Arabern auch
beschieden, sie sollen sich nicht mehr über Djamolin lustig machen, sonst
bekommen sie es nochmal mit ihm zu tun. Rachid, Joseph und Medi haben
daraufhin beteuert, von Karim nur angestiftet zu sein, worauf Djamolin ihnen
zugesichtert hat, sollten sie sich von Karim lossagen, würde er ihnen
verzeihen und sie dürften wieder seine Freunde sein. Auf dieses Angebot sind
sie dann auch eingestiegen. Djamolin durfte jetzt auch immer die Fernbedienung
reservieren. Dieses Ereignis fiel zeitlich zufällig mit der Einnahme Kabuls
durch die Nordallianz zusammen. |
Für Sarah waren die neuen Hierarchien auf jeden Fall ein Gewinn, zwar durfte
sie nicht die ganz Popstars-Sendung schauen, Djamolin stellte aber immerhin
vor dem Wetter auf den von ihr gewünschten Sender um, so dass sie immerhin
noch den Abspann mitbekam. Die Küche durfte sie nun auch benutzen, wann sie
wollte. Noch mehr freuen tat sie der Umstand, dass sie nicht selber kochen
musste, sondern von Florian und Stephan, den beiden Deutschen, sogar zum Essen
eingeladen wurde. «Tu est très maigre. Tu as besoin de quelque chose très
consistante.» hatten sie ihr gesagt und ihr eine happige Portion Wiener
mit Pommes und Spiegelei zubereitet. «C'est allemand. Tu vas l'aimer!»
Ja, Florian und Stephan hatten noch mal Glück gehabt. An der Frage, ob sie
sich in den Konflikt einschalten und für Sarah, Tracy und Aurelie Partei
ergreifen sollten, wäre fast ihre Freundschaft zerbrochen. Tatenlos zusehen wäre
nicht gut gewesen, und sich auf die Seite der Mädchen zu schlagen, hätten
ihnen böse Zungen bestimmt als Ausländerfeindlichkeit ausgelegt. Zum Glück
war John mit Karim und seinen Freunden dann alleine fertig geworden und ihre
Beteiligung beschränkte sich auf humanitäre Akte. |
|
|