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Die TUSMA

Bei der Wahl meiner Studentenjobs achtete ich stets auf das Vorhandensein wichtiger Kriterien. Der Job sollte interessant sein oder wenigstens Spaß machen, nichts mit harter Arbeit zu tun haben und möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit einbringen. Das Studium der Aushänge vor dem Büro der studentischen Arbeitsvermittlung TUSMA erforderte unter diesen Umständen viel Geduld und Geschick. Trotzdem wurde es nie als Nebenfach anerkannt. Vielleicht war ich gerade deshalb so erfolgreich darin. So zum Beispiel heuerte ich Heiligabend als Weihnachtsmann an. Ich musste nur einen Tag arbeiten, verdiente viel Geld und hatte obendrein eine prima Ausrede, Heiligabend nicht bei meinen Eltern sein zu müssen. Perfekt.

 

Die TUSMA war dafür bekannt, bei der Entgegennahme von Jobangeboten besonders darauf zu achten, dass niemand aufgrund seiner Herkunft oder seines Geschlechts diskriminiert wurde. So verwundert es auch nicht, dass unter den studentischen Weihnachtsmännern alle Hautfarben, Religionen und sexuelle Orientierungen vertreten waren. Man musste nur soviel deutsch sprechen, um sagen zu können: "Ich verpass dir gleich mit der Rute, du böse Kind!"
Folgendes Kundengespräch am Telefon dürfte also keine Seltenheit gewesen sein.
"TUSMA-Weihnachtsmannvermittlung, Guten Tag!"
"Guten Tag! Wir hätten gern einen Weihnachtsmann bestellt."
"Für welchen Tag?"
"Na Weihnachten."
"Tut mir leid, Weihnachten ist schon alles voll. Aber Ostern hätten wir noch Termine frei."
"Was?"
"Kleiner Weihnachtsmannscherz. Natürlich ist noch was frei. Wir brauchen aber noch einige Angaben. Wo wohnen Sie denn?"
"Marzahn."
"Um wie viel Uhr soll der Weihnachtsmann kommen?"
"Sechs Uhr morgens."
"Was?"
"Jetzt hab ich auch mal einen Scherz gemacht."
"Hahaha. Ja gut. Der Weihnachtsmann meldet sich dann bei Ihnen."
"Äh, da wär noch was."
"Ja?"
"Wir hätten diesmal gerne einen deutschen Weihnachtsmann."
"Das geht nicht."
"Dann wenigstens einen mit weißer Hautfarbe. Nicht so wie letztes Jahr."
"Sie sind wohl ein Rassist."
"Aber der Weihnachtsmann ist doch nicht schwarz!"
"Na, ein Reichsdeutscher ist ja wohl auch nicht. Ursprünglich kam der Weihnachtsmann aus Kleinasien, also der heutigen Türkei."
"Das finde ich unerhört. Kann ich mich wenigstens darauf verlassen, dass der Weihnachtsmann ein Mann ist."
"Nein."

 

Es kam aber relativ selten vor, dass sich hinter dem weißen Bart eine Weihnachtsmännin verbarg. Denn für die Studentinnen hatte sich die TUSMA den Weihnachtsengel ausgedacht. Der Weihnachtsengel ging zusammen mit einem Weihnachtsmann auf die Luxustour für Besserverdienende. Um ebenfalls an den großen Fleischtopf des Weihnachtsmannjobs zu gelangen, sollten sich die Studentinnen jedoch alberne Engelskostüme anziehen. Im Gegensatz zu uns Weißbartträgern mussten sie sogar ihr Gesicht zeigen. Sie tauschten somit Diskriminierung gegen Demütigung. Doch vor das fette Trinkgeld hat der liebe Gott die Werbung gestellt. Zu diesem Zweck wurden alle TUSMA-Weihnachtsmänner und -engel in einen großen Vorlesungsraum gepfercht, um vor lokalen Pressevertretern Weihnachtslieder zu singen - ein ganzer Saal voller weißbärtiger Rotmützen aller Nationalitäten und ein paar weißgekleidete Frauen, die mit ihren albernen Engelskostümen nun sogar ins Fernsehen kamen. Ich gehe davon aus, dass auch ich an diesem Tag meinen ersten Auftritt im Westfernsehen hatte. Doch welche zum Schneewalzer schunkelnde Rotmütze meine war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

 

Am Ende der Veranstaltung wurden die Paare der Luxustour zusammengestellt. Die meisten hatten sich zwar schon vorher gefunden, aber es gab stets einige Singleengel, die noch einen Weihnachtsmann benötigten. Als wieder einmal der Oberweihnachtsmann die Frage nach Partnern für die Engel in die Runde warf, meldete sich ein offensichtlich ausländischer Weihnachtsmannkollege: "Dürfen muslimische Weihnachtsmänner auch mehrere Engel haben?"