Kommissar Mörharts letzter Fall  VI

von Dan Richter


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Bohnefeld – Bohni
Mörhart – Volker
Strübing
Teufling – Dan
Richter
Hertha – Zuschauerin 
Trudchen – Zuschauerin
Sprecher – Jochen
Schmidt


 (aufgeführt am 19.5.05)

6. Mörharts langweiliger Alltag

 

SPRECHER: In der St. Maximilian-Kirche wird der einzige treue Kirchgänger, Herr Krausnick, bestialisch gekreuzigt. Der senile Glöckner Steißmeier gesteht und wird verhaftet. Kommissar Mörhart hingegen verdächtigt am laufenden Band Drahtzieher und Komplottkocher. Daraufhin nimmt man ihm den Fall weg. Doch mit seinem treuen Assistenten Bohnefeld bleibt er der Sache auf der Spur. Durch eine Verkettung übler Blödheiten verliert Bohnefeld innerhalb weniger Stunden beide Hände. Mörhart wurde bereits ins Verkehrsdezernat abgeschoben, wo er nun Akten sortieren muss. Die Sachbearbeiterinnen vor Ort machen es ihm nicht gerade leicht.

 

 Hertha und Trudchen im Büro der Verkehrsabteilung trinken Kaffee.
Mörhart sortiert Akten
.

 HERTHA: Und da sagt die Erika zu mir, Hertha, sagt sie, Hertha, wenn ich Zehn vor Fünf die Kinder abholen muss, dann schaff ich das niemals. Sag ich zu Erika, Erika, sag ich, wieso denn nicht? Sagt Erika, Hertha, sagt sie, Hertha, versteh doch mal, wenn ich mit dem Auto um die Uhrzeit fahre, dann bleib ich garantiert im Stau stecken, wenn ich aber mit dem Bus fahre, dann machen die Kinder wieder ein Remmidemmi, dass es nur so eine Art hat.

TRUDCHEN: Ja, die Kinder von der Erika...

HERTHA: Wart mal, Trudchen, wart mal, ich war ja noch nicht fertig, also ich zur Erika, Erika, sag ich, Erika, du musst die halt ein bisschen erziehen, du hast die doch verwöhnt.

TRUDCHEN: Das hast du zu Erika gesagt?

HERTHA: Na, und ob ich das gesagt habe! Erika, hab ich gesagt, Erika, du verwöhnst die Gören. Ich sag dir eins, Trudchen, so eine Reaktion hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Die ist an die Decke gegangen, weil ich was gegen deren Drecksgören gesagt habe, dabei ist das doch bekannt, dass Erikas Bastarde verzogen sind. Aber du glaubst nicht, was die da zu mir gesagt hat!

TRUDCHEN: Wieso? Was hat sie denn gesagt?

HERTHA: Also, ich sag dir, Trudchen, so was hab ich mein ganzes Leben noch nicht gehört, und ich hab schon so einiges gehört. Das weißt du ja selber, was man sich hier manchmal bieten lassen muss. Aber so eine Unverschämtheit. Also nee!

TRUDCHEN: Also, was hat sie denn gesagt?

HERTHA: Das bleibt aber unter uns, ja? Also, wie ich gerade zu Erika sage, Erika, deine Kinder bedürften manchmal eine klarere Hand, und da war ich ja noch höflich über diese verzogenen Dreckschweine, da sagt die doch zu mir, also wirklich, da hat die doch wirklich die Stirn, mir zu sagen (und ich arbeite ja wohl schon vier Jahre länger hier als Erika), da sagt die also zu mir...

MÖRHART: Entschuldigung, die 34er Akten, wo kommen die noch mal hin?

HERTHA: Ach, der Kommissar Mörhart, Sie hatte ich schon fast vergessen. Trudchen, das ist Herr Mörhart von der Mordkommission, der macht sich mal bei uns für ein paar Wochen nützlich. Herr Mörhart, das ist Frau Ziergiebel, aber wir sagen alle Trudchen.

TRUDCHEN: Ja, aber...

 Mörhart gibt Trudchen die Hand.

 MÖRHART: Angenehm. Ähm, also die 34er Akten, wo soll ich die...

HERTHA: Ach packen sie die einfach da oben auf den Stahlschrank, für die interessiert sich doch sowieso keine Sau mehr.

MÖRHART: Wieso, was sind eigentlich diese 34er Akten? Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, reinzugucken.

TRUDCHEN: Die 34er? Das sind doch die Leinenfälle.

MÖRHART: Leinenfälle?

HERTHA: Ja, unaufgeklärte Verkehrsunfälle, bei denen Leinen eine Rolle gespielt haben, zum Teil noch von vor der Wende. Z.B. der Hundeleinenfall: Ein Radfahrer mit angeleintem Dobermann. Dobermann wittert Doberfrau auf der anderen Straßenseite. Leine ist auf 15 Meter ausziehbar. Dobermann rennt auf die andere Straßenseite und begattet Doberfrau. Derweil ist Hundeleine quer über die Straße gespannt. Zweiter Radfahrer auf Liegerad kommt die Straße runtergebrettert und wird von Leine geköpft. Und die Millionen-Euro-Frage lautet: Wer hat Schuld?

MÖRHART: Ach du Scheiße!

TRUDCHEN: Oder der Wäscheleinenfall.

MÖRHART: Was?

HERTHA: Ja, dabei haben zwei Achtjährige mit einer zwölf Meter langen Wäscheleine Pferdchen gespielt. Als das Pferdchen auf die andere Straßenseite lief, kam ein Brummi angebraust und fuhr direkt in die Leine, so dass die beiden Kinder im Winde mitflatterten.

TRUDCHEN: Genau. Und alle, die es sahen, hielten es für einen Werbe-Gag der Speditionsfirma.

HERTHA: Oder der Fall mit der Hoden-Leine.

TRUDCHEN: Genau, da hat ja ein...

TEUFLING (auf dem Büroflur): Mörhart! Mörhart!

TRUDCHEN: Meint der Sie?

TEUFLING (kommt ins Büro): Mörhart! Wo ist dieser... Ah, hier sind Sie ja!

MÖRHART: Hallo Chef!

TEUFLING: Mörhart, Sie sind jetzt wohl völlig übergeschnappt.

MÖRHART: Wieso denn, Herr Teufling.

TEUFLING: Jetzt spielen Sie noch nach Feierabend den Detektiv. Der Bischof hat bei mir angerufen, dass Sie den Pfarrer verhört haben.

MÖRHART: Sorry, Chef.

TEUFLING: Und zwar verhört nach ihrer berüchtigten Mörhart-Methode.

TRUDCHEN und HERTHA: Mörhart-Methode?

TEUFLING: Wenn wir jetzt wieder Probleme mit dem Brandenburgischen Erzbiskopat und dem preußisch-bischöflichen Abgesandten der Kurie der römisch-katholischen Kardinals-Diözese kriegen oder uns gar der Erzpropst des deutschen Kongregats der katholischen Ordens-, Glaubens- und Dreifaltigkeitsbruderschaften aufs Dach steigt, dann ist das alles Ihre Schuld.

MÖRHART: Echt?

TEUFLING: Ja. Sie können sich schon mal warm anziehen. Und was Ihren Assistenten anbetrifft...

MÖRHART: Bohnefeld?

TEUFLING: Genau. Der ist ja zu gar nichts mehr zu gebrauchen.

MÖRHART: Bloß weil er seine Hände verloren hat?

TEUFLING: Mörhart! Der hat nicht „mal nur seine Hände verloren“, er hat sie nacheinander an einem einzigen Tag verloren. Und zwar, weil er auf Ihre Anweisung hin, sich weiter in den Fall vertieft hat, der gar kein Fall mehr ist.

MÖRHART: Wie meinen Sie das?

TEUFLING: Bohnefeld? Kommen Sie rein!

 Bohnefeld tritt ein.

 TEUFLING: Hände hoch!

 Hebt die Armstümpfe hoch.

 TEUFLING: So Mörhart! Schauen Sie sich das an, diesen Mann kann ich nicht mal mehr zum Tippen benutzen! Höchstens zum Aktenschleppen.

HERTHA: Na, das ist doch auch schon mal was! Kriminalassistent Bohnefeld könnte doch die 34er Akten da oben auf den Schrank legen.

TRUDCHEN: Genau. Hach, so ein Süßer! Und dann hat er keine Hände. Ein Jammer!

BOHNEFELD: Soll ich, Chef?

TEUFLING: Kommissar Mörhart ist nicht mehr ihr Chef?

BOHNEFELD: Soll ich, mein Herr und Meister?

MÖRHART: Tu, wie dir befohlen! (gibt ihm die Akten)

BOHNEFELD: Genial.
(Monolog vom Rand der Bühne ins Publikum) Die Ablenkungsmanöver von Kommissar Mörhart sind so extrem genial, dass selbst der Teufling drauf reinfällt. Heut abend geht’s wieder auf Schnüffeltour, hehe!

 

Bohnefeld klettert mit den Akten auf einen Stuhl

 

MÖRHART: Chef, offengestanden würde ich viel lieber...

BOHNEFELD: Hier oben?

HERTHA: Ja. Da oben. Nein, nicht den Stuhl, der ist wacklig.

BOHNEFELD: Wer ist schwul und zapplig? Aahh! (Fällt vom Stuhl und bricht sich das Bein. Humpelt schreiend durch den Raum.) Aah, mein Bein, mein Bein!

HERTHA: Ich hab doch gesagt, Sie sollen aufpassen.

MÖRHART und TEUFLING: Stimmt, das hat sie gesagt.

 Bohnefeld setzt sich jammernd auf den Stuhl

 TEUFLING: So, ihr hübschen Verkehrsmäuschen. Schön wieder an die Arbeit, und wenn Sie Mörhart noch einmal in einem Mordfall oder gar im Fall Kirchenmord herumschnüffeln, dann sind Sie die längste Zeit Polizist gewesen. Auf Wiedersehen!

 

Teufling geht.

 

MÖRHART und HERTHA: Auf Wiedersehen!

MÖRHART: Bohnefeld, beißen Sie die Zähne zusammen. Heute Abend geht’s wieder los.

BOHNEFELD: Auf Schnüffeltour? Ich hab’s geahnt!

MÖRHART: Auf Schnüffeltour!

BOHNEFELD: Lassen Sie mich raten: Die Haushälterin des Pfarrers?

MÖRHART: Bingo! Die Haushälterin. Also, heute Abend 20.30 Uhr vor der Kirche.

TEUFLING (kommt noch mal zur Tür rein): Und wenn ich Sie noch einmal in der Nähe der Kirche erwische, dann feuer ich Sie persönlich.

MÖRHART: Ja, ja. Alles klar Chef.

 Chef geht.

 MÖRHART: Bohnefeld? 20.30 Uhr bei der Kirche!

BOHNEFELD: Kommissar Mörhart, Sie sind genial.

 Musik: Hells Bells

 

SPRECHER: Wird das jetzt eine Büro-Soap oder was? Im Vergleich zu den action-betonten Folgen der letzten Woche war das ja jetzt wohl zum Einschlafen. Warum tauchen jetzt völlig überflüssigerweise diese Büromiezen Trudchen und Hertha auf? Wird Trudchen sich in Bohnefeld verlieben? Ist es wahr, dass die Ärzte Bohnefelds gebrochenes Bein amputieren müssen, weil Mörhart ihn zwingt, ständig neue sinnlose Ermittlungen anzustellen? Sind das überhaupt Fragen, deren Beantwortung uns bei der Lösung des Problems der Überlebensfähigkeit der Gattung Mensch auch nur einen Schritt weiterbringen? Und wenn nicht – ist das denn ein Grund, das Theater zu verbieten? Warum muss der Sprecher am Schluss immer bescheuerte Fragen vorlesen? Welcher veralteten Konvention soll denn hier Rechnung getragen werden? Oder versucht der Autor des Stückes mit diesen Fragen nur selbstironisch von Schwächen der Dramaturgie abzulenken? Das kann eigentlich nicht sein, denn dies ist das genialste dramatische Werk der letzten 250 Jahre. Also kommt wieder und erstaunt auch nächste Woche ehrfürchtig vor einer neuen Folge von „Kommissar Mörharts letzter Fall“.

Verbeugung der Schauspieler

 

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