Endlich Zuhause Teil I

Wenn ich nach Hause komme freue ich mich immer schon von weitem, daß ich nach Hause komme. Aber dann begegnet mir vor der Haustür der bärtige Mann aus dem Vorderhaus, den ich seit zehn Jahren grüße, obwohl er nie zurückgrüßt. Dabei besteht laut Hausordnung im Umkreis von 100 Metern Grußzwang. Aber er weicht meinem Blick auch innerhalb dieser Zone aus. Ich habe schon darüber nachgedacht, ihn vielleicht eines Tages einfach auch nicht mehr zu grüßen, damit er sieht, was er davon hat, aber mir fehlt ein bißchen der Mut für solche Dinge.

 

Mein Schlüssel paßt jedesmal wie angegossen, die Tür öffnet sich, und ich ziehe sie hinter mir zu, damit kein Gesindel von der Straße hinterherhuscht. Dann kommt der häßliche Innenhof. Seit hier mal einer seinen Motor gewaschen hat, ist er noch häßlicher, eine braune Öllache fließt in den Gully, so langsam, daß sie seit acht Jahren noch keinen Schritt weitergekommen ist.

 

Der Hof ist wie alles häßliche auch gefährlich. Deshalb balle ich nachts immer eine Faust um mein Schlüsselbund, um mich notfalls verteidigen zu können. Ich gehe auch nie den gleichen Weg über den Hof, damit sich meine Gegner nicht darauf einstellen. 

 

Dann öffne ich meinen Briefkasten, damit alle denken, daß ich seit morgens nicht hier war. In Wirklichkeit gehe ich den ganzen Taglang hoch und runter, weil ich es wie jeder vernünftige Mensch weder oben noch unten lange aushalte. Die vielen Treppen machen mir nichts aus, sie sind sogar wahrscheinlich gesund.

 

Wie immer steht im ersten Stock ein Flurfenster offen, durch das ich im Vorübergehen rausspucke.

 

Ich habe das Fenster noch nie verfehlt, es könnte für meinen Geschmack sogar noch etwas kleiner sein.

 

 Im zweiten Stock hat einer einen Notizblock an die Tür gehängt und einen Bleistift danebengenagelt. Seit ein paar Jahren steht da: "Hallo Ulli, bin kurz beim Bäcker".

 

Im dritten Stock wohnen verschiedene Menschen, denen allen gemein ist, daß sie nicht im zweiten oder vierten Stock wohnen. Im vierten Stock befindet sich linkerhand meine Wohnung. Aber Vorsicht auf dem Weg dorthin, die eine Stufe ist zu kurz, und man fällt immer mal hin, wenn man es kurzzeitig vergessen hat.

 

Meine Wohnungstür ist, seit sie weiß gestrichen wurde, weiß.

 

Der Schlüssel schmiegt sich geschmeidig in die wie für ihn geschaffene Form des Schlosses, und die Tür öffnet sich wie von Zauberhand. Sofort sucht meine linke Hand nach dem Lichtschalter. Jetzt kommt die Gewissensfrage: Jacke aus, Schlüssel ins Schälchen, Portemonnaie aus der Tasche, Schuhe ausziehen, Hausschuhe anziehen, Fahrrad reinschieben, aufs Klo gehen, Hände waschen. Oder Fahrrad reinschieben, Schuhe ausziehen, Schlüssel ins Schälchen, Portemonnaie aus der Tasche, Jacke aus, Hände waschen, aufs Klo gehen? Oder etwa doch aufs Klo gehen, Fahrrad reinschieben, Schuhe aus, Hausschuhe an, Portemonnaie aus der Tasche, Schlüssel ins Schälchen, Jacke aus, Hände waschen? Am liebsten möchte man alles gleichzeitig tun, aber das geht nun mal nicht, wenn einem keiner hilft. Man könnte höchstens auf dem Klo schon die Jacke ausziehen, aber mit den Schuhen würde das nicht gehen, jedenfalls nicht, wenn man klein muß. Wenn man groß muß, kann man natürlich dabei schon mal die Schnürsenkel öffnen, aber man kann nicht gleichzeitig das Fahrrad reinschieben.

 

Das Fahrrad ist dann oft das Stiefkind des Nachhausekommens und bleibt die Nacht über auf dem Flur stehen. Die Nachbarn müssen drunter durch in ihre Wohnung kriechen. Dabei könnten sie es selbst in meine Wohnung schieben, der Schlüssel steckt ja noch im Schloß, weil ich so sehr aufs Klo mußte, daß ich ihn vergessen habe. Aber darauf kommen die Nachbarn nicht, sie sind nach anderen Kriterien ausgesucht worden als nach Intelligenz.

 

Wenn ich endlich alles mich äußerlich beengende und belastende los bin und mich kein Portemonnaie mehr drückt und keine Jacke mehr fesselt, und wenn die Füße frei atmen können in den luftdurchlässigen Hausschuhen, dann ist die Zeit gekommen, die Tür zum Wohnzimmer zu öffnen, das mir auch Schlaf- Eß- und Arbeitszimmer ist.

 

Es ist sozusagen ein Allzweckzimmer, man könnte, wenn man wollte, darin auch Fußnägel schneiden, Briefmarken sammeln, Kopfstand machen. Das mache ich aber nicht, weil ich mich inzwischen in meinem Leben auf Schlafen, Essen und Arbeiten konzentriere, die anderen Interessen kommen da oft zu kurz.

 

Endlich zuhause Teil 2