Feng Shui

Da meine Frau Sammlerin ist von so nützlichen Dingen wie Keksdosen, Katzen-Käfigen aus Naturmaterialien und Tageszeitungen, wird der Wohnraum langsam knapp. Sie stapelt alles übereinander und lässt nur kleine Schlängelpfade übrig, für die ich zu dick geworden bin. Wenn ich von der Küche zum Schreibtisch will, ziehe ich den Bauch ein und bewege mich seitwärts durch die Stapel. Kurz vor dem Ziel habe ich keine Luft mehr, es macht "Plopp!" und mein Bauch fährt wieder aus, erwischt einen der Stapel, auf dem sich pikanterweise ganz oben ein Eimer mit Wasser befindet, eine Urlaubserinnerung an den uckermärkischen See, an dem es keinen Kiosk mit Ansichtskarten gab, meine Frau aber darauf bestand, irgendetwas von diesem schönen Ort als Erinnerung mit nach Hause zu nehmen, weswegen sie am letzten Urlaubstag fünf Liter Seewasser abschöpfte und mir den Eimer mit der Erklärung in die Hand drückte, dass Wassereimertragen Männersache sei, worauf ich nicht übel Lust verspürte, ihr Eimer samt Inhalt über den Kopf zu stülpen, es aber wegen meines Erfahrungsschatzes, betreffend missgestimmter Frau, vorzog, mich zu fügen und den Eimer die ganzen 125 Kilometer bis nach Hause brachte, wo ich ihn dann erst mal auf den Stapel stellte, auf dem er jetzt mit einer nicht zu unterschätzenden Gleichgewichtsstörung zu kämpfen hat, weil ich meinen Bauch nicht lange genug einziehen kann. Patsch! Das schöne Uckermarkwasser. Hat sich in meinem Haar festgesaugt und meiner Hose und läuft durch die Dielenritzen, schneller als du gucken kannst.

Es war der Moment, in dem ich beschloß, etwas zu tun. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder ich nahm ab oder ich brachte meine Frau dazu, den ganzen Mist wegzuschmeißen. Zu ersterem hatte ich keine Lust und letzteres versuchte ich erfolglos seit acht Jahren. Ich könnte auch die Gelegenheit nutzen, alles wegzuschmeißen, wenn sie mal nicht da ist. Aber sie hat mir für diesen Fall angedroht, meine Lebenserwartung radikal zu verkürzen.

Zwei Wochen später entdeckte ich im Buchladen ein kleines Buch: "Feng Shui – gegen das Gerümpel des Alltags". Feng Shui klang schon mal gut. Da würde meine Frau anbeißen. So fernöstliches Zeugs, da steht sie drauf. Sie macht auch Thai Chi, das ist so eine Art Gymnastik in Zeitlupe. Ich darf nicht zugucken, wenn sie das macht, weil ich immer lachen muß. Ich blätterte das Buch durch, die Satzfetzen, die ich erhaschte, gefielen mir. Es ging um negative Energie und Space-Clearing und Darmsanierung, aber vor allem wurde empfohlen, den ganzen Krempel wegzuschmeißen, der sich über die Jahre angestaut hatte. Ich kaufte das Buch und verpackte es als Ostergeschenk, damit es nicht so aufdringlich wirkte. Wie erwartet kam das Buch gut an und die nächsten drei Tage lag sie auf dem Sofa und las darin, während sie ab und zu zustimmend nickte. "Genau", murmelte sie, "stimmt genau!" – "Was denn?", fragte ich.

"Dein Computer muß aus dem Schlafzimmer raus. Man schläft schlecht, wenn ein Computer im Schlafzimmer steht." – "Aber du hast noch nie über Schlafstörungen geklagt!"

"Bis jetzt hatte ich das Buch ja noch nicht. Es hat mir die Augen geöffnet!"

"Und dein ganzer Krempel, der muß auch raus, das steht in dem Buch drin, ich habs gelesen, versuch nicht, mich zu täuschen."

Sie seufzte. "Ja, eventuell muß ich einiges wegwerfen. Aber zuerst muß ich den Feng Shui-Bagua-Gerümpel-Check machen."

Der Check brachte erstaunliches zutage. Die ganze Wohnung war im Prinzip falsch geschnitten. Wir waren kurz davor, an negativer Energie zu ersticken. Heiliger Strohsack. Wenn ich nicht zufällig diesen Buchladen betreten hätte, wär´s bald aus gewesen mit uns. Wir mussten schnell handeln. Als erstes nahmen wir uns die Betten vor, sie mussten umgestellt werden wegen der Erdstrahlung. Wir verrückten sie in 5°C-Schritten und legten uns nach jedem Rücken zum Probeliegen drauf. Nachdem wir die Betten um 360°C gedreht hatten, ohne beim Probeliegen eine Veränderung gespürt zu haben, schlug ich scherzhaft vor, sie an die Wand zu nageln. "Dann fallen wir raus", sagte meine Frau. Ironie ist eindeutig nicht ihr Steckenpferd.

Das Schlafzimmer war also durch und durch verseucht, wir konnten es abschreiben. Ich nahm noch den Computer raus, dann erklärten wir das Schlafzimmer zur Krempelsammelstelle. Wir schmissen den ganzen Krempel aus den anderen Zimmern rein, dann dichteten wir den Türrahmen ab und klebten einen Kaugummi aufs Schlüsselloch, um die negative Energie auszusperren. Man hörte sie ein bisschen rumoren, damit hatte sie nicht gerechnet, aber der Kaugummi hielt sich wacker und blieb kleben.

Nun kam das wichtigste, das Space-Clearing. Im Buch wurden die wesentlichen Reinigungsprozeduren erläutert: "Zünden Sie Kerzen und Räucherstäbchen an, versprengen Sie Weihwasser und reichen Sie dem Schutzgeist des Hauses und den Geistern der Erde, der Luft, des Feuers und des Wassers Blumen und Gebete dar."

Mist, wo sollte man jetzt auf die Schnelle Weihwasser herkriegen. Aber vielleicht konnte man das selbst herstellen. Ich ließ die Badewanne vollaufen und segnete das Wasser. Gar nicht so schwierig. Es war vielleicht kein Markenweihwasser, aber selbstgemachtes ist doch immer am besten. Wir versprengten das Weihwasser nicht, wir kippten es aus Eimern aus, es sollte sich ja lohnen. Dann schmissen wir sämtliche Blumen, die wir finden konnten auf die Erde und meine Frau murmelte ein paar Gebete. So, das hatten wir abgehakt, der nächste Schritt: "Klatschen Sie in den Ecken, um statische Energie zu zerstreuen. Waschen Sie Ihre Hände im Anschluß unter fließendem Wasser (es ist sehr wichtig, das nicht zu vergessen)."

Wir klatschten, was das Zeug hielt, die Energie in den Ecken wurde durcheinandergewirbelt, hatte lange genug rumgehangen da. Als wir uns die Hände wundgeklatscht hatten, gab es nicht mal mehr ein Zipfelchen statischer Energie, das irgendwo rumhockte.

Die nächsten beiden Punkte bereiteten uns Schwierigkeiten: "Reinigen Sie den Raum mit balinesischen Space-Clearing-Glocken" und "Errichten Sie ihre Schilde. (Visualisieren Sie Lichtschilde vor allen Wänden)"

Mich beschlich ein leiser Verdacht, dass das Ganze so ein Esoterik-Quatsch war. Aber was man angefangen hat, muß man auch zu Ende führen. Das Dumme war nur, dass wir gerade keine balinesischen Space-Clearing-Glocken zur Hand hatten. Ich guckte im Internet nach, sie kosteten 130 Dollar das Stück und wir beschlossen, diesen Schritt erst mal zu überspringen. Konnten wir ja später immer noch nachholen. Da wir auch nicht in der Lage waren, Lichtschilde vor den Wänden zu errichten, gab es nur noch einen letzten Punkt abzuarbeiten: "Erfüllen Sie den Raum mit guten Wünschen, Licht und Liebe."

Das war relativ einfach. Ich sagte "Alles Gute" in den Raum, knipste den Lichtschalter an und warf ein paar Kusshände durch das Wohnzimmer. So, jetzt musste es aber von positiven Energien nur so wimmeln. Es war nicht direkt fühlbar, aber erahnen konnte man es schon. Erschöpft schliefen wir auf dem Wohnzimmerfußboden ein.

Als wir am nächsten Morgen aufwachten, ging es meiner Frau wie immer, sie hatte Kopfschmerzen und schlechte Laune. "Ist doch alles Quatsch", meinte sie, riß die Schlafzimmertür auf und ließ die ganze negative Energie ins Wohnzimmer strömen. Dann verteilte sie den Krempel wieder gleichmäßig auf die Zimmer.

Es hatte keinen Zweck, jetzt mit ihr zu streiten. Ich war gescheitert, aber ich würde es noch mal versuchen. Vielleicht hatte es wegen den fehlenden balinesischen Space-Clearing-Glocken nicht funktioniert. Ich muß noch mal im Internet gucken, vielleicht gibt’s ja einen Rabatt für Arbeitlose.

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