Chaussee der Enthusiasten

 


Die schönsten Schriftsteller Berlins erzählen was  

Stephan ZeisigRobert NaumannDanBohniVolker StrübingJochen Schmidt

 

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Robert Naumann

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Der kleine Schmarotzer
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Winter in Deutschland 

 

Amerika!
Ich dachte mir, warum nicht mal nach Amerika fliegen, einfach mal raus, den Duft der großen weiten Welt schnuppern, alles stehen und liegen lassen, ganz spontan in den Flieger setzen, ab geht die Post, die Freiheit spüren, die Enge Deutschlands verlassen, den Kopf frei machen, die Seele baumeln lassen, alles vergessen, auch mal Fünfe gerade sein lassen. Ich pack die Badehose ein, Zahnbürste und natürlich Hoppel, meinen Plüschhasen, der immer so coole Sprüche draufhat. Der Koffer platzt aus allen Nähten. Egal, ab gehts.

 
Im Flugzeug merke ich, daß ich Poppel vergessen habe, meinen anderen Plüschhasen, der beim Essen immer spuckt. Na ja, jetzt ist es zu spät. Jetzt bin ich auf dem Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, muß auch mal ohne Poppel gehen. Schwuppdiwupp landet der Flieger in New York, in dieser Stadt, wo einfach alles möglich ist, wo einfach nichts unmöglich ist. Ich steig aus dem Flieger und oh Mann, ich kann die Freiheit riechen, echt. Sie riecht wie Schweinegepullertes. Eher nicht so angenehm also, aber das ist mir in diesem Moment egal. Wußte ich ja gar nicht, hab ja die Freiheit noch nie gerochen, war ja immer Gefangener von mir selbst.

 
Ooh und diese Wolkenkratzer, die kratzen ja fast an den Wolken, das ist einfach unglaublich. Der Jet-leg hat mich müde gemacht. Ich muß gähnen. Eine original amerikanische Fliege fliegt mir in den Mund. Ich schlucke meinen Ärger darüber hinunter. Was soll ich mich darüber aufregen, ich bin in Amerika, dont worry, be happy. Ich geh mal los, schlender durch die Straßen. Das pure Leben überall. Die Leute tanzen auf den Straßen, überall Hot Dogs und Hamburger, Obdachlose stehen vor brennenden Mülltonnen und reiben sich die Hände, tausende Rastalockentypen spielen Saxophon auf dem Bürgersteig, dicke Neger mit kiloschweren Goldketten rappen Raps, Mädchen im Bikini rollen Rollschuh. Das ist Amerika, das ist echtes Amerika. 

 
Ein Auto fährt vorbei und ein Typ mit Kapuze und Knarre knallt die ganzen Neger ab. Ku-Klux-Klan, sag ich nur. Es gibt eben auch Schattenseiten. Aber Schwamm drüber. Ich muß mir mal `n Hotel suchen, wo ich schlafen kann. Da ist schon eins. Sieht zwar echt übel aus, aber ich bin zu kaputt, um noch weiter zu suchen. Sind nur Zweibettzimmer frei, sagt der Mann an der Rezeption. Okay, sag ich. 

 
Ich geh zu meinem Zimmer und mach die Tür auf. Wahnsinn, ich fasses nich, da liegt Robert de Niro auf dem Bett, nur so mit Unterhosen und Hemd, ne Zigarette in der einen, ne Flasche Whisky in der anderen Hand. Hey, sagt er. Ich kann gar nichts sagen, weil ich total sprachlos bin. Er erzählt mir dann, daß er in seinem nächsten Film einen abgehalfterten, heruntergekommenen Schriftsteller spielt. Um sich richtig in die Rolle einzufühlen, ist er hier in diesem schäbigen Hotel und besäuft sich. Wahnsinn, sag ich nur. Jetzt steht de Niro auf und fängt an, die ganzen Schaben, die herumkrabbeln, aufzuheben und zu essen. Entsetzt gucke ich ihn an. Er erklärt mir, daß der Typ auch geistig verwirrt ist. Ach so. Ich geh ins Bett, bin total müde. 

 
Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist Robert de Niro verschwunden. Mein Koffer auch. Ist okay. Da der geistig verwirrte Schriftsteller das getan hätte, mußte es auch Robert de Niro so machen. Für die Kunst opfer ich meinen Koffer doch gern. Nur um Hoppel tut es mir ein bißchen leid, weil der immer so coole Sprüche draufhat. Jetzt steh ich auf dem Flughafen und gucke noch mal sehnsüchtig auf die Stadt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß ich jetzt wieder zurück muß. Ein schwermütiger Seufzer entringt sich meiner Brust und eine Träne kullert aus dem rechten Auge. Bye, bye, Amerika, im nächsten Jahr.