Chaussee der Enthusiasten


Die schönsten Schriftsteller Berlins erzählen was

Stephan ZeisigRobert NaumannDanBohniVolker StrübingJochen Schmidt

chaussee (at) enthusiasten.de

Chaussee-Bote bestellen:
post (at) enthusiasten.de

Gedichte, die wir nicht verstehen

Zum Anhören und Nichtverstehen:

Sound: Jochen und Dan performen von Gerhard Rühm ein Simultangedicht (mp3 - 463 KB)
Sound: Dan performt das Lieblingsgedicht von Dieter Thomas Heck (mp3 - 131 KB)

Zum Selberlesen und Nichtverstehen von:

Matthias Baader Holst | Paul Celan | Chiquita Banana | Inger Christensen | Stefan Döring
Elke Erb | Dieter Thomas Heck | Gabriele Kachold | Uwe Kolbe | Thomas Kunst
Franz Mohn | Bert Papenfuß | Curt Rambach | Jochen Schmidt


frontformloses gezeter


bezugpunktloses scheiden
von schwafelnden fortschritttripplern
echt ächtlos verechtlich ersatzlos
wirklichkeiten in verwesung foltern
gewohnheitsschwächen töten
st schon gut
wenn du keine scheisse im darmst
bishierhergehöriges wissen und können überrumpeln
s grenzt an umweltverschmutzung
draufhin lange spiegelsitzen
ähnlichkeiten überlappen die wahrheit

(aus: Bert Papenfuß-Gorek, dreizehntanz, Berlin (Aufbau-Verlag) 1988 , S.7.)










Rosen durchlöchert von sandigen Böen
Eine Wiese am Rande des Ruins
Vögel umrankt von langen Giraffen
Ein Säuseln ein Atmen ein Licht
Die Karten werden neu gemischt
Die Gunst liegt auf der Hand
Für seine Zukunft reibt man sich am Baum
Für seine Blumen schluckt man gelben Schlamm
Zehn Hufe suchen eine Schlucht
Der Zuchtstier sieht im Spiegel rot
Einmal nur der Zeit gefallen
Spring dich gesund
Verheiz deine Knochen
Für den letzten Rausch
Für den höchsten Ton

(Jochen Schmidt, Unveröff. Manuskript, Okt.1990)









Die Eruption
Deutungslose Symbole erbauen
den Konservativen, den Taumler.
Vor der Frühstück betritt er
die Watte, Geleise bereits, die
stumme Gewohnheit Aufbruch
alleingebliebener Mütter
(dies Erhoffen, und immer, im Blick).
Über Granit und Alpaka,
den hundert Jahren Straße,
weht eine Blume herauf,
bewußtloses Stück der Anderen Seite,
hält sich, rötlich, und schwimmt so,
gekreißt in Profanes, in Dünste.

(Uwe Kolbe: Bornholm II, Berlin 1986)















Der mit Himmeln geheizte
Feuerriß durch die Welt.

Die Wer da?-Rufe
in seinem Innern:

durch dich hier hindurch
auf den Schild
der Ewigen Wanze gespiegelt,
umschnüffelt von Falsch und Verstört,

die unendliche Schleife ziehend, trotzdem,
die schiffbar bleibt für die un-
getreidelte Antwort

(Paul Celan: Ausgewählte Gedichte, Frankf./M (Suhrkamp) 1968, S.123.)













wenn sie stark ist, soll sie ihn schon kriegen
der moment ist steinzeit
die minute ist kringelzeit
schaluppe tanzt die retorte
seit er einteilt
seit sie einteilt
ist stromzeit schonzeit
ich will dich nicht nach deiner lüge fragen
es es es und es es ist ein hochgenuß
daß das das und daß ich jetzt schreiben kann und muß
alles so eingeteilt, daß einem nichtsanderes übrigbleibt
freischreiben freischwimmen freiwindeln freiwippen wüppen
wappen rängeln ringeln klingeln im gebälk die glöckchen mit
söckenchen ich werd mich für sie ins Zeug schmeißen
evratinowam uktiseptabei üktoramptibo üschtusiktenram wutrapo
füsüko intupi riktusa schenkmontai üksantum wektuso iripto
muntimpau aktosipentalong saxophon Iaxjerokam untipenda

(Aus: Gabriele Kachold: zügellos, Berlin (Aufbau) 1989)


















würdenträger würfelbecher whisky pur
im jammertal hemmungen heiln pornostreifen
laß dich falln! be asozial
seien sie mein krüppel groupie
bodenlos gewissen
wie ein faß

doch du näherst dich im wahnsinn!!!!!
christusmord plus heidenspaß
mordkommandos füttern schwäne
gänseblümchen träumen zen
nichts soll eignlich übrig bleiben
aber aber aber wenn...

(Matthias Baader Holst, aus: Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante, Leipzig (Reclam) 1991, S.255)













Schnappsack
Die Klappmasse klart auf ein Klack
Die klare böse Masse klappt
Diklipper diklapper wie Wasser
Verplappert von Pappe

Dieser bösen Masse, dem Wrack
Auf und ab steppt die Klappen der Fakt
und im Treck schnappt die Tappen der Trakt
und im Takt hackt die Treppen der Kasper

(Elke Erb: Kastanienallee, Berlin (Aufbau) 1987, S.67)

















NUR WAR DIE ART SICHER WEIT genug von dir
entfernt
das land zum suchen nicht,
zum
finden zu verwenden
unsere haus elf jedenfalls im reim
vorteil
verengte geschickt die
träume
bestand den froh test
mit der je vergebenen note
er sie du ich es würden
stolz sein:
besonders es es
wäre eine monats münze mehr und
wir gingen eine helle nacht
anstiften
mit oder ohne lisa
mit

(Thomas Kunst, aus: Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante, Leipzig (Reclam) 1991, S.267)



















Und schon ist es Abend
Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde
getroffen von einem Sonnenstrahl:
und schon ist es Abend

(Salvatore Quasimodo, aus: Das Leben ist kein Traum, München (Piper) 1987, S.7.)




















Topflos
Topfloser Deckel vom Rost ramponiert
Irrt im gepfändeten Pfannenpanoptikum
Dort wo banale bezirzende Blindheit phantomartig brät
Atmet im Angesicht marternder Menschenkadaver
Vom generativen Gestank gangränös an den Brandpfahl gepfählt
Der auf einsamen Ebenen hirnvollen Seins
Mit dem rostigen Deckel vergessen verrottet

(c) Chiquita Banana, Anfang 1991.

















wortfege
weinsinnig im daseinsfrack
feilt an windungen seiner selbst
wahrlässig er allzu windig

im gewühl fühlt er herum
und windet sich nochmal heraus
fund, kaum geborgen, bloss wort

wasser, lauernd, von wall zu wall
die spiegel mit fellen überzogen
wetter, uns umschlagend, dunst

die gewährten fegt es hinüber
die bleibenden gefahren erneut
der sich herausfand währt dahin

(Stefan Döring, aus: Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante, Leipzig (Reclam) 1991, S.224)




















bitte baden gehn

wer weiß wo.
wer weiß wann.
wer weiß wo wie.
wer weiß wie was.

weiß wie: wer war.
weiß wer: war wo.
weiß was: wie war.
weiß wo: was war.
weiß wer was.

im ofenrohr
im dauerlauf
im viehbestand
im wurmfortsatz
im bettgestell
beim zapfenstreich
im vorderteil
mit zinngeschrei
beim null overt
wo denkst du hin -

bitte baden. bitte baden. bitte baden.

weiß wer wo
weiß wer wie
weiß wer was

bedeckt bedacht bedient bewacht
bitte baden gehn! bitte baden.

(Franz Mohn: bitte baden gehn, in: Jahrbuch der Lyrik 2001, München (C.H.Beck) 2000.








Alphabet (1)
Die Aprikosenbäume gibt es, die Aprikosenbäume gibt es

(Inger Christensen)




















Das Lieblingsgedicht von Jens Weissflog

Willkomme of'n Fichtelberg

Dort wu's Gebirg am hächsten is, net weit von Himmel meh,
da liegt in unnern Sachsenland der Fichtelberg in Schnee!
Un zwischen Baamle, watterhart, guckt stolz e Haisel raus,
von Türmel sist de Glück un Segn, guckst de ins Land weit naus!
Un raane Bargluft, die is wie Arzenei,
Die schmeckt so gut un is billig un aah besser fei!
Pack zamm dei Arbit, beschließ dei Togwerk
Komm rauf! Willkomme of'n Fichtelberg.

Wie Zucker sieht im Winter fei dos Haisel of der Höh,
is dos e Pracht! Wie Silber glänzt jeds Fichtel ubn voll Schnee.
Mer sieht kaa Astel un kaan Zweig, när Reif un Eis hängt dra.
Sieht dos e Kind, dos denkt gewiß,'s lauter Marzipa!
Un raane Bargluft, die is wie Arzenei,
die schmeckt so gut un is su billig un aah besser fei!
Pack zamm dei Arbit, beschließ dei Togwerk
Komm rauf! Willkomme of'n Fichtelberg.

In Sommer sist de Wald un Haad, viel Wiesen frisch un grü,
wu weiße Haisle drinne liegn, wie Spielzeig klaa un schie!
De Glocken klinge feierlich tief unten in der Kirch:
Wie hot der liebe Gott gemacht su schie mei Arzgebirg!
Un raane Bargluft, die is wie Arzenei,
die schmeckt so gut un is su billig un aah besser fei!
Pack zamm dei Arbit, beschließ dei Togwerk
Komm rauf! Willkomme of'n Fichtelberg.

In Winter weiß, in Sommer grü, dos is su sei Gewand;
dos war meitog de schännste Farb in unnern Sachsenland.
Do ubn is Ruh, kaa Zank, kaa Streit, die Herz haalt aus fei schie,
sist du vo ubn die Haamitland, die Sachsen weiß un grün.
Un raane Bargluft, die is wie Arzenei,
die schmeckt so gut un is so billig un aah besser fei!
Pack zamm dei Arbit, beschließ dei Togwerk
Komm rauf! Willkomme of'n Fichtelberg.

(Curt Rambach)












Das Lieblingsgedicht von Dieter Thomas Heck

Es geht ein Mensch durch einen Supermarkt und stellt fest,
daß ihn kein Mensch nach seinen Wünschen fragt.

Er schiebt durch die Halle mit dem Wagen aus Stahl
und trifft seine Wahl an jedem Regal.

Das einzige Mal, daß jemand etwas sagt,
ist, als er nach der Rechnung fragt.

Jetzt wird ihm klar, warum ältere Menschen
immer wieder fragen:
Wo ist unser schöner Tante-Emma-Laden?

(Dieter Thomas Heck)