N Die Schatzinsel – Teil VIII N

von Dan Richter

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Curfew, Jims Mutter: Volker
Jim Hawkins: Stephan
Pirat 1: Robert
Pirat 2 und Technik im Mittelteil: Jochen
Erzähler, Hands, Papagei: Dan

John Silver, Erzähler Mittelteil: Bohni


(aufgeführt am 12.2.04)

 

Erzähler: Wir schreiben das Jahr 1762. Der 15jährige Jim Hawkins gelangt unter abenteuerlichen Umständen in den Besitz der Karte einer Insel, auf der der Schatz des verstorbenen Piratenkapitäns Flint vergraben sein soll. Jim, Friedensrichter Trelawney und Dr. Livesey heuern ein Schiff in Bristol. Die mit Hilfe des einbeinigen Kochs John Silver ausgesuchte Mannschaft stellt sich bei Ankunft auf der Insel als die von Admiral Flint heraus. Eine lobenswerte Ausnahme ist der ständig betende aber dafür außergewöhnlich gut aussehende Kapitän Smolett, der unseren Freunden hilft, sich in einem Blockhaus auf der Insel zu verschanzen und dieses mit Waffengewalt gegen die Piraten zu verteidigen. Als diese dann auch noch den von Trelawney aus Sarajevo importierten Diener Joyce erschießen, wird es allen zur Gewissheit, dass dies kein Makramee-Urlaub auf Usedom ist, nein, dies ist 
Die Schatzinsel!

Jim (übers Mikro erzählend): Trelawney und Kapitän Smolett hatten sich nackt zur Ruhe gelegt. Dr. Livesey war ins Dunkel der Nacht verschwunden, um herauszufinden, was der Inselbewohner Ben Gunn meinte, als er von einer Höhle voll Gründe sprach. Ich hingegen wälzte mich im Halbschlaf hin und her.

Szene 12

Jim. Jims Mutter.

Mutter: Junge, ich glaube, diese Männer sind nicht der rechte Umgang für dich.

Jim: Mutter! Was machst du denn hier?

Mutter: Hör zu! Dein Onkel, den ich heiraten musste, hat deinen Vater umgebracht. Du, mein lieber Jim, bist der rechtmäßige König von Dänemark.

Jim: Hä? Bin ich im falschen Film?

Mutter: Komm an meine Brust, Ödipus, mein heißer, nasser Spalt erwartet dich.

Jim: Mutter! Wir leben im 18. Jahrhundert! Da gibt’s noch keine Psychoanalyse. Wer soll mir denn das alles wieder wegtherapieren!

Mutter ( geht von der Bühne ab und lockt dabei Jim, ihr zu folgen): Komm! Komm! Komm!

Jim: Mutter! Mutter! (Jim erwacht, wischt sich über die Augen und stellt fest, dass das ein Traum war:) Verdammt! Sehen so die Träume aus, wenn man wochenlang nur mit Männern zu tun hat?

Jim geht ab.

Jim (am Mikrofon): Doch als ich erwachte, brachte mich mein Schlafejakulat auf einen jener Einfälle, die uns das Leben retten sollte: Ich nahm ein Päckchen Proviant aus der Proviantpäckchenkiste, eine Pistole aus der Pistolenkiste, eine Schnur aus der Schnurkiste, ein Messer aus der Messerkiste und zwei Kondome aus der Kondomkiste. Dann schlich ich mich aus dem Blockhaus. Es dauerte eine Stunde, bis ich am Ufer war. Dort lag das Boot von Ben Gunn vertäut. Ich kappte das Vortau, reffte die Spint-Bruzen, legte die Nopp-Brahen in die dafür vorgesehenen Schot-Kimmen und legte mich ins Zeug. Nach soundso viel Ruderschlägen war ich beim Schiff angelangt. Vom Deck drangen Laute, die darauf schließen ließen, dass hier ein Pirat den anderen den Säbel schmecken ließ.

Szene 13

Curfew und Hands fechtend über die Bühne. Beide verletzen sich mehrmals gegenseitig. Curfew wird erstochen und fällt tot ins Wasser (von der Bühne)

Sound Wasserplatschen

 Hands erschöpft auf den Stuhl.

Jim (noch am Mikro): Die Sonne war soeben aufgegangen. Ich kappte das Vortau des Schiffes, so dass es hin und her schlingerte, reffte das Fockrahsegel, schlang die Sack-Pocke um die Klüh-Quast und enterte das Schiff.

Jim auf die Bühne.

Hands: Nanu, was haben wir denn da für eine Landratte an Bord gekriegt!

Jim: Guten Morgen, Mr. Hands. Kapitän Hawkins meldet sich zurück an Bord.

Hands: Kapitän Hawkins? Willst du damit sagen, dass du Hundsfott das Vor-Tau gekappt und das Fockrah-Segel gerefft hast?

Jim: So ist es. Und mit der Sack-Pocke bin ich aufs Schiff gelangt.

Hands: Hast du die etwa um die Klüh-Quast geschlungen? Jim Hawkins, du Meerschwein, du hast großes Glück, dass ich von dem Kampf noch verletzt bin, sonst würde ich dir jetzt den Hals umdrehen.

Jim: Ich finde das total unsachlich von dir, du! Ich bin nämlich auch ein Mensch. Und wie du wissen solltest, hat kein Mensch das Recht andere Menschen zu regieren.

Hands: Klingt nach Hobbes.

Jim: Irrtum, mein Freund! Hobbes spricht ja davon, dass es einen gerechten Monarchen geben sollte, der qua Gesellschaftsvertrag die Sicherheit aller garantieren solle, da (so meint Hobbes), der Mensch des Menschen Wolf sei, was mir, nebenbei bemerkt, in deinem Falle eine nicht ganz unzutreffende Annahme erscheint.

Hands: Also Rousseau?

Jim: Dicht daneben ist auch vorbei. Nein. Um ehrlich zu sein, handelt es sich um ein Zitat von Rio Reiser, dem Sänger von Ton Steine Scherben, die zwar nicht gerade meine Lieblingsband sind (du solltest wissen, dass ich als Engländer natürlich mehr so auf Britpop abfahre). Aber dennoch – mir schien dieser Gedanke in Anbetracht des kleinen moralischen Disputs, den wir hier gerade auszufechten im Begriffe sind, von nicht unbeträchtlicher Brillanz.

Hands: Verletzt es dich, wenn ich zugebe, deinen Ausführungen nicht in allen Einzelheiten folgen zu können?

Jim: Nein.

Hands: Also, was willst du?

Jim: Da das Schiff lose vor sich hin eiert, sollst du mir erklären, wie ich es in die Nordbucht steuere.

Hands: Na schön, mein Jungchen. Schätze, du hast die besseren Trümpfe. Also: Stell dich ans Steuer.

Jim stellt sich ans Steuer und führt Hands’ Anweisungen aus.

Hands: Schön backbord halten...
Ja. Sehr gut...
Und jetzt steuerbord!
...
Und jetzt wieder backbord!

Erzähler: Um dem Drama eine straffere Form zu verleihen, haben wir an dieser Stelle die zweistündige Fahrt des Schiffes um die Insel auf zwei Minuten verkürzt.

Hands: Und jetzt steuerbord!...
Und jetzt wieder backbord!
Und jetzt steuerbord!
...
Und jetzt wieder backbord!
Und jetzt steuerbord!
...
Und jetzt wieder backbord!
Sehr gut! Und jetzt einfach auf die Sandbank draufhalten.

Jim: Vielen Dank, Mr. Hands!

Hands (schleicht sich in geduckter Haltung mit einem Messer in der Hand an Jim heran): Ich bin derjenige, der sich bedanken muss.

Jim (schreit): Bleiben Sie stehen Mr. Hands! Sie wissen, was ich Ihnen vorhin gesagt habe über Hobbes!

Hands: Erstens hat unser kleines Spielchen hier überhaupt nichts mit der Gesellschaftslehre von Hobbes zu tun, weswegen dein Einwand völlig irrelevant ist, zweitens war ich derjenige, der vorhin Hobbes ins Spiel gebracht hat, du hast von einem Anarchisten aus dem 20. Jahrhundert gefaselt, und drittens gehst du gleich hops!

Jim: Schlechter Kalauer, Mr. Hands. Sie übersehen, dass ich mit Pistolen bewaffnet bin. Also – Hands up, Mr. Hands!

Hands: (resigniert) Ach schade, hab ich wohl Pech gehabt! (springt auf Jim zu) Hab ich dich, Freundchen!

Sound Pistolenschuss

Hands: (stirbt, schreit, fällt vom Schiff, d.h. von der Bühne) Ahhh! Verflucht seist du, Jim Hawkins!

Sound Wasserklatschen. Jim ab.

Jim (erzählt übers Mikro): Eine Meisterleistung, wie ich fand. Erst hatte ich den Piraten in eine pseudo-philosophische Diskussion verwickelt, und dann hatte ich ihn mit seinen eigenen Waffen, ähh, ich meine, mit meinen eigenen Waffen getötet. Ich tauchte der Leiche hinterher, um ihm die Haut abzuziehen, wie es bei uns englischen Jungs damals Brauch war, aber leider konnte ich sie nicht finden. Und so machte ich mich auf, und ging zurück zum Blockhaus. Als ich es erreichte, war es schon wieder Nacht geworden.

Licht aus. Projektor aus.

Szene 14

Im Blockhaus Silver, Pirat 1, Pirat 2

Jim (erzählt weiter übers Mikrofon): Ich schlich mich so leise wie möglich an, damit ich nicht den Kapitän beim Beten störte, oder Mr. Trelawney und Dr. Livesey, die ja immer gemeinsam, nun ja, ich sag mal „schliefen“.

Jim schleicht sich an, tastet sich durch das Blockhaus.

Papagei: Piaster! Piaster!

Silver: Wer da?

Pirat 1: Mach doch mal einer das Licht an!

Pirat 2: Was denn für’n Licht?

Pirat 1: Wenn ich jetzt „Mehr Licht“ sage, ist das dir dann literarisch genug?

Pirat 2: Ja.

Pirat 1: Wegen Goethe?

Pirat 2: Ja.

Pirat 1: Sei doch nicht so maulfaul!

Pirat 2: Ich?

Pirat 1: Ja, und guck mich gefälligst an, wenn ich mit dir spreche!

Pirat 2: Ja.

Pirat 1: Also bitte schön: „Es werde Licht!“

Licht an. Projektor an (Piratenfahne)

Pirat 2: Das war jetzt aber nicht von Goethe!

Pirat 1: Papperlapapp!

Silver: Guck mal einer an! Unser Jim Hawkins!

Jim (schreit): Scheiße! John Silver und die Piraten! Wieso seid ihr denn hier? Wo sind denn Dr. Livesey und Mr. Trelawney?

Silver: Tja, mein Bürschchen, die haben uns freiwillig das Blockhaus überlassen.

Pirat 1, Pirat 2: Hahahaha!

Jim: Waaas?

Silver: Ja, ja. Und die Karte dazu.

Jim: Die Schatzkarte?

Silver: Ja, die Schatzkarte.

Jim: Und der Kapitän! Was ist mit dem Kapitän?

Silver: Der betet!

Pirat 1, Pirat 2: Hahahaha!

Silver: Der Doktor war ziemlich böse auf dich, weil du weggelaufen bist. Aber wir freuen uns natürlich auch, dass wir jetzt so einen hübschen Jungen wie dich haben.

Pirat 1, Pirat 2: Hahahaha!

Silver: Aber weißt du, was das Schlimmste ist?

Jim: Ich gehe davon aus, dass das eine rhetorische Frage ist.

Silver: Korrekt. Das Schlimmste ist, dass das Schiff weg ist, und weder der Doktor noch wir wissen, wo es steckt.

Jim: Hahahaha! Aber ich weiß es. Hands und Curfew liegen bei den Fischen. Und ich hab das Schiff gekapert. Jetzt liegt es an einer Stelle, wo ihr es nie im Leben finden werdet.

Pirat 1 (geht auf Jim los): Dann fahr zur Hölle, Bürschchen!

Pirat 2: Genau.

Pirat 1: Könntest du bitte deine redundanten Kommentare unterlassen?

Pirat 2: Ich denke, die brauchen wir, um die Verständlichkeit zu erhöhen.

Pirat 1: Durch diese Art von Kommentaren wird das Stück nun nicht gerade verständlicher.

Pirat 2: Das hättest du aber auch knapper ausdrücken können.

Pirat 1: Für mein Empfinden ist dieser ganze Dialog völlig redundant.

Pirat 2: Dann sei doch still.

Pirat 1: Warum denn ich?

Papagei: Piaster! Piaster!

Silver: Ist ja gut mein Kleiner! (zu den Piraten) Männer! Jim bleibt erst mal am Leben. Er ist ein super Pfand gegenüber dem Doktor und diesem Trelawney.

Pirat 1: Oooch! Menno!

Silver (zu Jim): Eine Bitte hätten wir allerdings an dich.

Jim: Was denn?

Pirat 1, Pirat 2, Silver: Zieh dich aus!

Erzähler: Wie kommen Piraten dieser Sorte dazu, Goethe zu zitieren? Wird Jim überleben? Klar wird er überleben – aber wie? Müssen wir uns in den folgenden Wochen etwa weiterhin solch unverdautes Politologengeschwätz reinziehen, was, wie Kritiker mit Fug und Recht behaupten könnten, schlimmer als bei Pollesch in der Volksbühne ist? Wenn Sie ein minimales Interesse an der Beantwortung einer dieser Fragen haben, dann gehen Sie auch nächste Woche nicht zur Reformbühne Heim und Welt, sondern zur Chaussee der Enthusiasten zu einer neuen Folge der

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