Chaussee der Enthusiasten


Die schönsten Schriftsteller Berlins erzählen was

Stephan ZeisigRobert NaumannDanBohniVolker StrübingJochen Schmidt

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Auftritte

26.9. (So) 9:00-12:39, Berlin
Berlin-Marathon
Ich stehe diesmal unterwegs für Interviews zur Verfügung.

4.10. (Mo) Theater o.N.,
Kollwitzstr. 53

Literatursalon am Kollwitzplatz
Ich lese was von mir und
einem Autor meiner Wahl,
und wer kann das schon sein?
Außerdem dabei
Tone Avenstroup (Norwegen)


21.11. (So) 20:00, Berlin,
Kaffee Burger
Reformbühne Heim&Welt


Chronik

Ich trete seit einem Jahr im Chronisten-Catchen gegen Altmeister Falko Hennig an. Jochens Chronik gegen Falkos Chronik, wer hat den längeren Atem?

Sumo


Fotoroman


Endlich zuhause



Musik

Historische Aufnahme:
Kleine Meise


Verborgte Sachen, in chronologischer Reihenfolge. Wenn jemand die entsprechenden Personen trifft, wäre ich ihm dankbar, wenn er sie für mich daran erinnert:

  • Heiner Rosch: die Jimmy-Hendrix-Kassette mit Mike Oldfield auf der B-Seite
  • Hans-Martin Sprenger: Nick Hornby "Fever pitch"
  • Paul Motikat: Gitarren-Overdrive
  • Anne Gallou: Bertolt Brecht "Arbeitsjournal Teil 1", Sabine Kebir "Ein ganz normaler Mann"
  • Anonymus: Paolo Conte "900"
  • Bella Burkia: Christa Wolf "Nachdenken über Christa T."
  • Sebastian Fisahn: Sebastian Haffner "Von Bismarck zu Hitler", Claude Lévy-Strauss "Traurige Tropen"
  • Sascha Strutz: Fabliaux (Hg. Albert Gier)
  • Tube: Samuel Beckett "Watt", Christian Kracht "Faserland"
  • Barbara Schmidt: Marie Pohl "Maries Reise"
  • Lena Ruthner: Anatoli Pristawkin "Schlief ein goldnes Wölkchen"
  • Volker Strübing: Nick Hornby "33 Songs"
  • Dan Richter: VHS mit Doku über DDR-Grenzsoldaten, Dubravka Ugrešić "Kultur der Lüge"
  • Bohni: Michel Tournier "Der Erlkönig"


Schmidterix bei den Weißrussen


5.9.2004
Ausflug Markt in Minsk

Auf dem Markt gab es an jedem zweiten Stand einen schwarzen Trainingsanzug von Adidas. Allerdings habe ich festgestellt, daß ich bei meiner zunehmenden Kurzsichtigkeit auf die Entfernung nicht mehr zwischen zwei und drei Streifen unterscheiden kann, weswegen sich das mit der Markentreue für mich irgendwann erledigen wird. Leider wollte die Verkäuferin mir die Hose nicht in meiner Größe verkaufen, sie behauptete "M" stehe für „malenki“ (klein). Ich solle XXL nehmen, oder abhauen. Ich weiß nicht, für was ihrer Meinung nach XXL die Abkürzung sein soll.

Meine Hoffnung, hier ein paar von den Sachen zu finden, die mir in den letzten Jahren in Berlin verlorengegangen sind, wurde auch enttäuscht. Hier wird nämlich gar nicht viel geklaut. Der Polizist am Ausgang des Markts ließ allerdings verschiedene Deutungsmöglicheiten zu: entweder, die Leute hier sind so eingeschüchtert, daß Polizisten aus Pappe schon ausreichen, um sie in Schach zu halten, oder jemand hat den richtigen Polizisten geklaut und gegen eine Fälschung ausgetauscht, was schon ein meisterhafter Streich wäre. Ich hoffe, wenn ich zurückkomme, steht von Berlin nicht auch nur noch so eine Attrappe aus Pappe da.

6.9.2004
Die kleine Party in der 12.Etage des Wohnheims krankte ein bißchen an der Musikauswahl. Wir durften nur zwischen "Türkei Hits 2004" und "Türkei Hits 2003" wählen. Mit unseren CDs hatten wir kein Glück, als wir einmal unaufällig Coldplay auflegten, schritt Natascha sofort ein: "Ja chotschu wesjolaja muzyka" (ich möchte fröhliche Musik). Die Frage, ob wir es bei ihnen "beschaulich" fänden, womit sie „gemütlich“ meinte, konnte ich dann nicht mehr ehrlich beantworten.

Es ist schwer, mit jemandem über die politische Situation in seinem Land zu reden, wenn er nur die politische Situation in seinem Land kennt. Immerhin habe ich erfahren, daß die Studenten 1000 Dollar für ein Jahr Studium zahlen und 40000 Rubel, also 12 Euro, für ein Jahr Miete im Wohnheim. Man könnte also auch statt ein Jahr zu studieren 80 Jahre im Wohnheim wohnen, außer daß man das nicht darf und daß das Wohnheim sicher nicht mehr so lange durchhalten wird. Der Fahrstuhl ist jetzt schon so eigenwillig, daß ich ihn nur benutze, wenn ich mit vollen Beuteln vom Einkaufen komme und Lebensmittel für eine halbe Woche dabei habe.

Der Rest der Party verlief dann für mich ereignislos. Alle fünf Minuten gingen alle anderen aus dem Zimmer, um auf dem Balkon eine zu rauchen, während ich als einziger Nichtraucher mit dem knutschenden Pärchen auf dem Sofa sitzen blieb. Ich habe mir die Zeit mit Olgas Türkischlehrbüchern vertrieben. Ich glaube, ich werde demnächst krank, damit ich hier doch noch was erlebe.

7.9.2004
Wieder einmal in "Schwanensee" gewesen. Die Beschreibung der Handlung im Programmheft klingt so: "Der junge Prinz muß sich zwischen einer der Prinzessinen entscheiden, die aus aller Herren Länder zum großen Ball gereist sind". Aber da der junge Prinz nicht reden darf, sondern alles tanzend erledigen muß, braucht er mindestens 10 Minuten, um sich den anderen verständlich zu machen. So hat das Ballett insgesamt 4 Stunden gedauert, auch weil nach jedem Solo Beifall gespendet wurde. Dummerweise habe ich nur die Hälfte gesehen, weil ich im 3. Rang saß und die Tänzer dauernd aus dem Bild verschwanden. Das kann einem beim Fernsehen nicht passieren. So konnte ich auch meine alte Meinung nicht revidieren, daß Ballett eine faulende, sterbende und parasitäre Kunstform ist. Wenn man bedenkt, daß sie immer noch die gleichen Schrittfolgen tanzen, wie vor 100 Jahren. Bei der Olympiade wäre man auf verlorenem Posten, wenn man nach 4 Jahren noch keine neuen Höchstschwierigkeiten in seine Kür eingebaut hätte. Überhaupt kam mir das Tanzen vor wie eine um ihre spektakulären Elemente beraubte Bodenturnübung, die sich also nur auf das Füllmaterial beschränkt. Viele Standwaagen, Spreizsprünge und Strechingelemente, auf doppelte oder gar dreifache Salti und Schrauben wartete man dagegen vergeblich.

8.9.2004
Referendum

Heute hat Lukaschenko alle mit der Ankündigung eines neuen Referendums überrascht. Auf der Titelseite der „Bjelarus sewodnja“ („Bjelorussland heute“), die früher „Sowjetskaja Bjelarus“ hieß und deshalb immer noch dasselbe Kürzel SB benutzen kann, sieht man ihn mit dem für ihn typischen Gesichtsausdruck, den man als Niedergeschlagenheit eines LPG-Vorsitzenden im Angesicht der sinkenden Erträge oder als hochkonzentrierten und neutralen Ernst deuten kann. Die Rede ist ein Best-Of aus älteren Reden bereits seit längerem verstorbener Redner:

Im Einklang mit der Verfassung unseres Staates habe ich einen Ukas über ein staatliches Referendum unterschrieben. Es wird am 17.Oktober stattfinden. Warum an diesem Tag? Am 17.Oktober sind die Wahlen zum bjelorussischen Parlament. Das ist ein wichtiges Ereignis. Einerseits mobilisieren Wahlen die Bevölkerung, andererseits lenken sie sie von den wichtigen Problemen ab. Um das zu vermeiden und Sie nicht von der Erfüllung ihrer Aufgaben abzulenken, habe ich beschlossen, die Wahlen und das Referendum zusammenzulegen. Die Frage wird lauten: Erlauben Sie ihrem amtierenden ersten Präsidenten Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren und dafür die Verfassung zu ändern?
Erinnern wir uns an die Errungenschaften der letzten zehn Jahre. Mit unserem Staat geht es voran. Die größtten Betriebe des Landes arbeiten mit voller Kraft. Ihre Produkte sind im Osten wie im Westen gefragt. Wir haben die bjelorussischen Positionen auf den prestigereichsten Segmenten des Weltmarkts erweitert. Wenn sie zum Referendum gehen, stellen Sie sich die Frage: möchten Sie die Errichtung des Hauses für unsere Kinder, dessen Fundament ich mit ihnen gelegt habe, zu Ende führen? Ein ruhiges und gemütliches Haus, in dem Frieden und Einverständnis herrschen? Im letzten Jahr sind 6 Millionen Tonnen Getreide geerntet worden, in diesem mehr als 7. Das liegt nicht nur am Wetter... Ich sehe die Leute genau, die schon seit langem darauf warten, 2006 an die Macht zu kommen. Ich weiß, woher sie ihr Geld haben. Ihre Geldgeber kann man verstehen, denn das ist eine gute Investition. Wenn sie einen von ihnen gefütterten Kandidaten zum Präsidenten machen, bekommen sie die bjelorussischen Fabriken und Werke geschenkt. Unser ganzes Land. Die letzten Jahre über trug ich es vorsichtig in meinen Händen, dieses helle, kristallene Gefäß: Bjelorußland. Ich trug es in der Angst, es zu beschädigen, da es spröde und zerbrechlich ist. Sind wir uns nicht einig darüber, daß so etwas Reines und Schönes nicht in die Hände von verantwortungslosen, dahergelaufenen Politikern fallen darf? Ein letztes Wort: Oppositionelle, die die Macht anstreben, werden Sie in der nächsten Zeit davon zu überzeugen versuchen, daß Lukaschenko wortbrüchig ist, die Macht unter Bruch der Verfassung an sich reißt, und bis zu seinem Lebensende Präsident sein will. Es werden viele Ratgeber auftauchen, gierig auf Experimente und Erschütterungen. Aber entscheiden müssen Sie, mit ihrem Verstand und ihrem Herzen. Denken Sie nach! Ihr Präsident.


9.9.2004
Unterricht

Vor dem Fenster unseres Unterrichtsraums, das sich leider nicht schließen läßt, wird gerade gebaut. So stören uns abwechselnd Preßlufthämmer und Fachsimpeleien der Bauarbeiter. Immerhin wird auf diese Weise dem etwas abgehobenen Wortschatz, den wir hier lernen, eine realistischere Ebene hinzugefügt. Heute sollten wir unsere Mitstudenten beschreiben: „Franziska hat ein ovales Gesicht und braune Augen.“
In dem Moment rief draußen ein Bauarbeiter: „Fick deine Mutter, du Schwanzgesicht!“
Die Lehrerin ließ sich nicht beirren. „Bitte weiter Johannes. Was können Sie noch über Franziska sagen?“
„Franziska ist introvertiert und spielt in ihrer Freizeit auf dem Pianoforte.“
In dem Moment gingen sie draußen zur Schlumpfsprache über: „Ich schwanz dir deinen verschwanzten Schwanz in den Schwanz, du Schwanz!“
„Sewtlana Sergejewna, was rufen die Männer denn die ganze Zeit?“
„Weiß ich nicht, ich habe nicht hingehört. Kann noch jemand etwas über Franziska sagen?“
„Franziskas glattes Haar wächst auf ihrem Kopf. Wenn sie auf dem Pianoforte spielt, ist Franziska froh.“
„Wenn du nicht endlich aufpaßt, fick ich dir die Votze aus dem Schwanz, du Tor!!“
So ging das noch eine Weile.

10.9.2004
Eishockey

„Keramikfabrik Minsk“ gegen „Scheibenhockey Brest“ sollte das erste Eishockeyspiel werden, das ich im Leben sah. Beim Eishockey spielt man sich ein Stück Kohle zu, das Puck heißt, weil es so unberechenbar ist, wie der bekannte Waldgeist gleichen Namens. Weil es wehtut, wenn man den Puck an den Kopf bekommt, setzt man einen Helm auf. Unterschiede in der Qualität der Spieler sind beim Eishockey nicht festzustellen, da alle den gleichen Stock benutzen und man auf dem Eis immer gleich schnell ist. Kaum haben sie den Puck einmal berührt, schlittern die Spieler schon wieder zur Bande und werden durch andere Spieler ausgetauscht. Das Publikum muß schrecklich frieren, weil es nicht daran gedacht hat, sich warm anzuziehen. Wenn die russischen Fans ein Tor bejubeln, kriegt man einen Eindruck davon, wie das damals an vorderster Front geklungen haben muss, wenn eine Attacke lief. Wenn jemand ein geborener Eishockeytorwart ist und das Zeug dazu hat, in diesem Fach eine lebende Legende zu werden, ist es besonders tragisch, wenn er, wie ich, noch nie Eishockey gespielt hat und deshalb nie etwas von seinem Talent bemerken wird.

11.9.2004
Joggen

Die Stadt gilt nicht zu unrecht als grüne und saubere Stadt. Man kann am Ufer der Swislotch kilometerweit joggen, ohne allzuviel zu riskieren. Warum diese Möglichkeit nicht genutzt wird, ist mir deshalb ein Rätsel. Sich hier joggend fortzubewegen, muß so exotisch sein, wie bei uns im Entengang zu flanieren. Es gibt nur wenige Ausnahmen, manchmal kommt einem eine Kompanie Jungs entgegen, bei denen man nie weiß, ob das jetzt Schulsport ist, oder ein Strafbataillon. Sie sehen einfach etwas gröber geschnitzt aus als bei uns.

Am Ufer sitzen dicht an dicht Angler. Wir haben ja schon im Unterricht gelernt, daß für den Russen Zeit eine weniger wichtige Kategorie ist als Raum, deshalb nehme ich an, empfinden sie es nicht als großen Zeitverlust, einen Tag lang am Wasser zu sitzen und das Nichts zu beobachten. Die Karriere des russischen Manns geht so: erst läuft er Mädchen nach, dann Pilzen und dann Fischen. Dabei bewegt er sich immer weniger und hat immer weniger Erfolg, allerdings macht es ihm auch immer weniger aus. Die Lieblingsbeschäftigung der russischen Jugendlichen ist es, als Pärchen auf einer Bank in der Sonne zu sitzen. Dabei lehnt sich das Mädchen an den Jungen und ißt Chips.

Problematisch sind die vielen Hunde. Es scheint den Menschen hier nicht so schlecht zu gehen, wenn sie es sich leisten können, diese Parasiten durchzufüttern. Aber vielleicht werden die kleinen ja auch nur am Leben gelassen, um sie später an die großen zu verfüttern. Normalerweise sind die Hunde nicht bösartig, das heißt, sie sind wahrscheinlich satt. Als mich aber einmal einer angebellt hat, beruhigte mich die Halterin: „Tolko lajaet pro forma“ („Er bellt nur pro forma“).
12.9.-19.9.













Bücher - CDs - Kartenspiele



Gebrauchsanweisung
für die Bretagne

Piper-Verlag

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Müller haut uns raus

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Seine großen Erfolge

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